Was Menschen an diesen Gruppen faszinieren kann

 

Daß Menschen, die einer "Weltanschauungs-Gruppe" beigetreten sind, darin keine Gefahr, sondern eher eine Befreiung sehen, ist klar. Denn dies war ja der Grund für ihren Anschluß an diese Gruppierung. Niemand tritt freiwillig einer Organisation bei, weil er sich auf die Beschneidung seiner Freiheit und Selbständigkeit freut.

Neue Mitglieder spüren oft ein intensives Glücksgefühl infolge der Beitrittsentscheidung. Man fühlt sich nunmehr auf dem richtigen Weg. Faszinierend können dabei unterschiedliche Aspekte sein:

 

"Endlich Zuwendung"

Faszinierend ist für viele Menschen die Erfahrung intensiver Zuwendung, die im Fachjargon als "Love-bombing" bezeichnet wird. Man wird mit Aufmerksamkeit und Zuwendung quasi überschüttet. Ein besonderes Erlebnis für jene, die Zuwendung und Liebe zuvor schmerzlich vermißt haben. Jetzt meinen sie, das alles endlich gefunden zu haben. Jetzt kann man Rationalität und kritisches Denken endlich sein lassen, und sich gänzlich der anscheinend so liebevollen Gruppierung anvertrauen.

 

"Endlich Gebrauchtwerden"

Organisationen suggerieren Interessenten oft, daß genau sie für eine wichtige Rolle zur Veränderung der Welt berufen wären. Durch sein eigenes Engagement, etwa in Form von Meditation oder der Verbreitung des Gedankengutes, könnte man entscheidend zu einer besseren Gesellschaft beitragen. Die oft geforderten Missionsaktivitäten werden von den Mitgliedern in der Folge als Erfüllung oder persönliche Aufwertung erfahren: Sie sind der Ansicht, endlich etwas wirklich Sinnvolles tun zu können.

Bestimmte Gruppen versuchen dabei dem Interessierten "nachzuweisen", was für ein intelligenter, wertvoller und kreativer Mensch er im Grunde doch sei. Besonders überzeugend kann diese Strategie dort wirken, wo mit geheimnisvollen oder pseudowissenschaftlichen Methoden die Schwachstellen des Betreffenden "herausgefunden" werden. Daß der entsprechende "Befund" meist äußerst schwammig und allgemein gehalten formuliert ist, kann der Betroffene in dieser Situation oft nicht unmittelbar erkennen.

 

"Endlich Heimat"

"Weltanschauungsgruppen" werden für ihre Mitglieder oft gleichsam zur "Heimat". Dafür werden auch Trennungen von der eigenen Umgebung bzw. zum Teil auch vom eigenen Kulturkreis auf sich genommen. Trotz des vordergründigen Gemeinschafts-Erlebnisses kann dies zu einer persönlichen Isolation führen, da die Beziehungen nur auf der Ebene der Weltanschauung wirklich bestehen. Einzelne Gruppierungen pflegen auch die Praxis, Mitglieder durch den Sektengründer bzw. durch die Führung verheiraten zu lassen ("Vereinigungsbewegung" , "Fiat Lux", "Sahaja Yoga").

Was für einen freiheitsbewußten Menschen unverständlich ist, ist dadurch zu erklären, daß die Mitglieder ihre Gruppe als die wahre und alle Lebensbereiche umfassende Heimat verstehen.

 

"Endlich Gesundheit"

Verschiedene Organisationen bieten jeweils spezifische Konzepte zur Erhaltung der Gesundheit an, wie z.B. Ernährungsvorschriften Derartige Heilungs-Angebote weichen mitunter erheblich von der wissenschaftlich arbeitenden Schulmedizin ab ("Fiat Lux"). Menschen, die unter verschiedenen gesundheitlichen Risiken leiden, zu leiden meinen oder davor Angst haben (z.B. Strahlenbelastung, gentechnisch veränderte Lebensmittel), oder an verschiedenen leichten oder schweren Krankheiten laborieren, sind von diesen Angeboten oft fasziniert - und in der Folge von der Echtheit und Gültigkeit des weltanschaulichen Programmes einer Gruppe überzeugt ("Scientology", "Fiat Lux", "Universelles Leben"). Die Hoffnung in die Heilungs-Praktiken der jeweiligen Gruppe verstellt zumeist den Blick auf die Erfolgschancen dieser Methoden.

 

"Endlich umfassendes Wissen"

Einzelne Organisationen berufen sich darauf, über höheres Wissen zu verfügen ("Fiat Lux", "Universelles Leben"). Ein Wissen, das von höheren Welten oder Mächten vermittelt gilt, und daher auch nicht kritisierbar ist. Mitglieder solcher Gemeinschaften fühlen sich damit (unbewußt) ihrer Umgebung überlegen.

Vor allem in Meditationsgruppen ist Erfahrung von großer Bedeutung. Das Meditationsangebot ist mitunter dem westlichen Menschen insofern angepaßt, als bereits nach einer kurzen Einführung die Einweihung oder gar das Erleuchtungserlebnis folgt ("Sahaja Yoga"). Während das Erleuchtungserlebnis in den östlichen Weltreligionen einen langen Weg voraussetzt, bieten missionarische östliche Bewegungen im Westen oft eine schnell erreichbare Erfahrung ("Instant Erleuchtung"). Im Unterschied zu klassischen Meditationsformen in den Weltreligionen wird von einzelnen Organisationen ein nicht unbedingt hohes Maß an Selbstbeherrschung verlangt, während andere Gruppen hingegen ein oft erschreckendes Maß an Verzicht fordern.

 

"Endlich Sicherheit"

Menschen, die an Zweifeln und an Unsicherheit leiden, fasziniert die Sicherheit, die manche Gruppen versprechen. Auf Vorbehalte wird scheinbar offen und direkt eingegangen, womit der Betroffene sein Mißtrauen rasch als unbegründet ansehen kann. Er ist in der Folge glücklich, sich nun ganz dieser Gruppierung und ihren Zielen anvertrauen zu können. Dazu kommt, daß klare und überschaubare Lebensmodelle als Lösung für die eigene Orientierungslosigkeit gehalten werden. In einer Gruppe, die Geborgenheit, Selbstsicherheit, Zielbewußtsein und Siegessicherheit ausstrahlt, fühlen sich vor allem junge Menschen - und nicht nur diese - rasch wohl. Die Mitglieder lernen dabei auch, zwischen "drinnen" und "draußen" zu unterscheiden. In der Gruppe selbst, so wird suggeriert, sind Heil, Glück und Zukunft daheim, während "draußen" Chaos, Kriminalität, Unheil, Haß, Materialismus oder "böse Eltern" lauern. Die Gruppe übernimmt Entscheidungen für den einzelnen ("Vereini gungsbewegung", "Fiat Lux"). Das Mitglied soll zu jedem Einsatz und Opfer bereit sein (Aus dem Gelöbnis der "Vereinigungsbewegung": "Ich werde unter Einsatz meines Lebens kämpfen. Ich werde verantwortlich sein, meine Pflicht und meine Mission zu erfüllen"). Für Außenstehende wirkt der daraus folgende übersteigerte Gehorsam oft menschenverachtend, während der Betroffene selbst diese Situation als äußerst positiv und anziehend erlebt: Er tut ganz sicher das richtige.

 


aus: "Sekten - Wissen schützt", Broschüre des österreichischen Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, s. 21-24