Was tun, wenn andere betroffen sind?

 

Falls sich in Ihrer persönlichen Umgebung eine Person offenkundig im Einußbereich einer Sekte" befindet, sollten Sie rasch und überlegt handeln. Welche rechtlichen Möglichkeiten Ihnen dabei offenstehen, lesen Sie im nächsten Abschnitt. Äußerst entscheidend ist jedoch auch, wie Sie sich im persönlichen Kontakt mit der jeweiligen betroffenen Person (Ihrem Kind, Ihrem Partner, einem Verwandten, Freund etc.) verhalten. Beachten Sie dabei folgende Ratschläge:

- Machen Sie sich keine Selbstvorwürfe! Vor allem, wenn es sich um das eigene Kind oder den Partner handelt, sind Selbstvorwürfe vorprogrammiert. Wenn Sie sich nun aber permanent den Kopf darüber zerbrechen, was Sie falsch gemacht haben, nützt das niemand. Im Gegenteil: Sie schwächen damit Ihre eigene Position, weil Sie immer auf das erlösende Wort der betroffenen Person warten, das Sie von Ihren Selbstvorwürfen befreit. Experten bezeichnen diese Situation sogar als "Ko-Abhängigkeit". Tatsache ist: Die Beziehung zur betroffenen Person ist auf das Schwerste gefährdet: Verlust, Trennung oder Scheidung - diesen Konsequenzen müssen Sie klar ins Auge sehen. Auch wenn dies "brutal" klingen mag: Lassen Sie die betroffene Person nicht zu Ihrem alleinigen Lebensinhalt werden. Ordnen Sie auch Ihr eigenes Leben. Das ist eine wichtige Basis für persönliche Stärke. Nur dann können Sie der betroffenen Person auch sinnvoll helfen.

- Ihre Zuneigung ist wichtig! Auch wenn Sie die Gruppierung, der die betroffene Person angehört, ablehnen: Zeigen Sie der Person, daß Sie nie aufhören werden, ihr Zuneigung zu schenken bzw. sie zu lieben. Achten Sie darauf, daß der Kontakt nicht abreißt. Bei Gesprächen sollten Sie Ihre persönliche Beziehung und nicht die jeweilige Organisation in den Vordergrund stellen. Wenn die betroffene Person Ihr Kind und minderjährig ist, sollten Sie rasch und konsequent von Ihren elterlichen Rechten Gebrauch machen: Sie können auch die Hilfe der Polizei anfordern, wenn die betreffende Gruppe Werbung und Nachstellung nicht einstellt.

- Geben Sie die betroffene Person nie auf! Liebe, Zuneigung und Vertrauen, die Sie Ihrem Kind oder einem Partner geschenkt haben, haben diese Person geprägt. Auf die Dauer kann dies von keiner noch so raffinierten Technik ausgelöscht werden.

- Beziehen Sie Position! Im Gespräch mit der betroffenen Person sollten Sie immer Ihren Standpunkt darlegen. Wer fürchtet, mit "klaren Fronten" die letzte Verbindung abreißen zu lassen, irrt sich. Schwammige Zustimmung nützt niemandem. Bleiben Sie dialogfähig, und sagen Sie klar und ehrlich Ihre Meinung. Vermeiden Sie dabei aber Vorwürfe ("Wie kannst Du nur..."). Lassen Sie sich von der betroffenen Person erzählen, was passiert ist. Dies wird ihr vielleicht auch die wichtige Möglichkeit geben, das eigene Verhalten zu reflektieren. In der betreffenden Gruppe wird die Person keine Zeit und Möglichkeit dazu haben.

- Niemals "umpolen"! Hüten Sie sich vor Maßnahmen, die die betroffene Person "umpolen" sollen ("Deprogramming"). Das ist nicht nur strafbar, sondern auch höchst gefährlich. Die Person hat ja nicht gemerkt, wie sie in den Einfluß der betreffenden Gruppe hineingeraten ist und wie sie ihre eigene Individualität sukzessive ablegt bzw. abgelegt hat. Die damit äußerst gefährdete Individualität der betroffenen Person könnte durch "Deprogramming" restlos zerstört werden. Ins Auge fassen sollten Sie jedoch die Mithilfe von erfahrenen Psychologen, die gemeinsam mit dem Betroffenen an der Heilung der seelischen Wunden arbeiten können. Vermeiden Sie jeglichen Druck, falls Ihre Bemühungen nicht erfolgreich sein sollten: Je stärker der von Ihnen verursachte Druck ist, desto stärker wird auch die Abwendung der betroffenen Person von Ihnen sein.

- Vorsicht bei Geschenken! Schicken Sie der betroffenen Person weder Geld noch Wertsachen. Fast immer gelangen derartige Sendungen nicht in ihre Hände, sondern in die der Gruppe. Und die wollen Sie ja keinesfalls unterstützen.

- Sammeln Sie Informationen! Bemühen Sie sich, möglichst viele Informationen über die betreffende Gruppe zu sammeln (Zeitungen, Bücher, sh. auch Literaturtips im Anhang dieser Broschüre). Nehmen Sie unbedingt das Informationsangebot der Beratungsstellen wahr. Diese Informationen helfen Ihnen bei der Beurteilung der Situation und allfälligen Gesprächen mit der betroffenen Person. Sie sind auch dann wichtig und hilfreich, wenn Sie zu einem Treffen der jeweiligen Gruppe mitgehen sollten. Verlassen Sie sich dabei nicht nur auf Ihr Urteilsvermögen, sondern auch auf sachliche und fundierte Information.

- Dokumentieren Sie alles! Dokumentieren Sie alle Ereignisse und Daten, die in Zusammenhang mit der betroffenen Person und der Gruppe stehen (erste Kontaktaufnahme, Anwerbung, Umzug etc.) Schreiben Sie auch alle Namen, Adressen und Telefonnummern auf, die mit den Aktivitäten der betroffenen Person in der Gruppierung zu tun haben. Dies kann eine wichtige Hilfe für gerichtliche und behördliche Aktivitäten sein.

- Lassen Sie sich beraten! In Österreich stehen Ihnen zahlreiche Beratungseinrichtungen zur Verfügung. Sie können sich dort kostenlos und anonym beraten lassen, was jetzt zu tun ist und welche Möglichkeiten Ihnen offenstehen. Erwarten Sie keine Wunder, aber konkrete und erfolgversprechende Tips und Informationen. Sie können sich natürlich auch einer Selbsthilfegruppe anschließen. Mit Ihren Problemen sind Sie nicht allein. Die Adressen und Telefonnummern der Beratungseinrichtungen finden Sie im Anhang dieser Broschüre.


aus: "Sekten - Wissen schützt", Broschüre des österreichischen Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, s. 51-53