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  Aleviten
Aleviten fallen in unserer modernen Gesellschaft nicht auf, weil sie sehr anpassungsfähig sind. Sie tragen keine spezielle Kleidung oder Kopfbedeckung, die auf ihre Kultur oder Religion hinweist.
Aleviten bekennen sich zu Humanität und Demokratie, deshalb kommt ihnen unsere Staatsform entgegen. Scharia, das islamische Gesetz, lehnen Aleviten ab. Das ist der wichtigste Unterschied zu den Sunniten. Aleviten kennen keine Pflichtgebete. Aleviten brauchen zum Beten keinen besonderen Raum und keine spezielle Zeit. Jede Alevitin und jeder Alevit betet dann und dort, wo er oder sie will auf eine Art, wie es ihm oder ihr entspricht. Der Koran ist für Aleviten kein Gesetzbuch, sondern die Niederschrift von Offenbarungen, die kritisch gelesen werden dürfen.
Mann und Frau sind gleichberechtigt. Zu anderen Religionen, Glaubensbekenntnissen und Ideologien haben Aleviten ein sehr offenes Verhältnis. Auf eine undogmatische Weise fühlen sie sich der Humanität verpflichtet. Die Menschenrechte im ganzen sowie die Meinungs- und Religionsfreiheit im speziellen werden von ihnen ausdrücklich bejaht. Jedem Menschen wird ausdrücklich das Recht auf einen eigenen Glauben zugestanden.
Über die Anzahl der Aleviten gibt es nur Schätzungen. In ihrer Heimat, der Türkei, werden sie nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt, sondern den Sunniten zugeschlagen, deshalb sind keine offiziellen Zahlen erhältlich. Aleviten nehmen an, dass etwa 20 Millionen zu ihrer Gemeinschaft gehören.
Die Aleviten haben ein ganz anderes Gottesverständnis als Muslime, Christen und Juden. Mit der Aussage, Gott ist der Schöpfer, Erhalter und Vernichter des Universums und allem, was darin ist, ist die Gemeinsamkeit praktisch erschöpft. Gott entwickelt sich in mehreren Stufen. Die sichtbare Gestalt Gottes ist die Natur und damit auch der Mensch. Jeder Mensch ist eine Manifestation Gottes, auch der Schurke und der Gottlose; allerdings sind diese missglückte Experimente Gottes. Jeder muss selber zur Erkenntnis von Gott und Natur kommen. Jedem Menschen wird das freie Selbstbestimmungsrecht zugestanden. Er kann beliebige Rituale pflegen oder darf sogar Atheist sein, sofern er seine eigenen Ansichten nicht anderen aufzwingen will. Die sozialen Normen wie das Verbot des Tötens, Diebstahl, Verleumdung und Ehebruch gelten für Aleviten gegenüber allen Menschen. Die Frage nach dem Tod und den Jenseitsvorstellungen ist für Aleviten nebensächlich. Das Verhältnis zum Mitmenschen ist wichtig.
Aleviten sind in der Türkei eine respektable Minderheit von mindestens 15% der türkischen Bevölkerung. Sie werden unterdrückt und hatten im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer wieder Verfolgungen zu erdulden. Nur so ist es zu erklären, dass bis in die jüngste Vergangenheit auch im Ausland sehr viele ihre Glaubenszugehörigkeit nicht bekanntgaben.
Alevismus im Leben
Cem bedeutet Kreis, Ring und ist eine religiöse und soziale Versammlung, die mindestens einmal jährlich abgehalten wird. Ein Cem besteht aus verschiedenen Teilen und deckt wichtige Aspekte des religiösen und sozialen Lebens ab. Gericht und Versöhnung, Belehrung und Spiritualität beinhaltet diese Versammlung, die wahrscheinlich auf uralte Formen zurückgeht. Ansprachen und Unterweisungen von Dedes und von Laien, Gebete und Segnungen folgen sich im Ablauf, der mehrere Stunden dauert. Semah, der kultische Tanz zu den Klängen der Saz, ist ein weiterer wichtiger Faktor. Jede Person bringt nach Möglichkeit etwas Essbares mit. Das gestiftete Essen wird am Schluss der Zusammenkunft an alle Anwesenden verteilt. Ein wichtiger Unterschied zu einem sunnitischen Gebet darf nicht ausser acht gelassen werden: die Sprache. Im Cem wird ausschliesslich Türkisch verwendet. Beim Cem kommt die Saz zum Einsatz. Die Saz ist ein traditionelles Instrument, das an eine Laute erinnert und in der Türkei und in den umliegenden Ländern weit verbreitet ist. Die Saz ist ein Bestandteil der Kultur und wird von vielen Menschen gespielt. Alevismus ohne Saz ist schwer vorstellbar; Cem ohne Saz ist sogar praktisch undenkbar. Deshalb werden möglichst viele Aleviten im Spiel der Saz angeleitet.
Die Cem haben im Leben der alevitischen Vereine eine sehr wichtige Funktion, sie stehen aber nicht im Mittelpunkt. In der Diaspora gehört der Unterricht zu einem wesentlichen Bestandteil vieler alevitischer Vereine. So werden immer Semah- und Musikkurse angeboten. Daneben wird Sprach- und Computerunterricht erteilt. Es gibt auch Kurse, die sich ausdrücklich an Frauen richten wie zum Beispiel Alphabetisierungs- und Deutschkurse. Die alevitischen Vereinslokale sind deshalb auch keine Gottesdiensträume sondern Vereinslokale, wie sie auch bei rein weltlichen Vereinen anzutreffen sind.
Organisationen der Aleviten
Ausgehend von Deutschland, begannen sich Aleviten zu organisieren. Zur Zeit gibt es dort über 90, in Österreich 7 Vereine. In der Schweiz wurde 1992 der erste Verein gegründet, heute sind es etwa 15, die Tendenz ist steigend.
Parallel zu den in den ”Föderationen der Aleviten-Gemeinden” organisierten Vereinen, die sich als Aleviten-Bektaschiten verstehen und ihre Religion und Kultur über jede Politik stellen, entwickelte sich eine Bewegung von kurdischen Aleviten, die sich zuerst als Kurden und erst dann als Aleviten verstehen.
Manche bezeichnen sich als Alevi-Kizilbasch. Kizilbasch heisst Rotkopf und ist eine seit dem späten 15. Jahrhundert vorkommende, ursprünglich eher abschätzige Bezeichnung, die unter anderem für Aleviten gebraucht wurde.
Von vielen Sunniten werden alle Aleviten mit der extremen PKK (Arbeiterpartei Kurdistan) in den gleichen Topf geworfen. Dies ist aber falsch. Nur eine Minderheit gehört zur PKK.
Manche Neugründungen von Vereinen haben ihren Grund nicht in unterschiedlichen religiösen oder politischen Ansichten, sondern sind aufgrund von allgemeinen zwischenmenschlichen Problemen entstanden. So gab es allein in einer Schweizer Stadt 3 Vereine, die durch Spaltungen entstanden waren.
Kontakte:
Deutschland:
Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu / Föderation der Aleviten-Gemeinden in Deutschland e.V. Stolberger Str.317, D-50933 Köln. 0049-221-94'98'560. (Fax: …561).
Schweiz: Föderation Alevitischer Gemeinden in der Schweiz, Fröschenweidstr. 10, Postfach 3017, 8404 Winterthur. Tel. 052 232 26 94 und 052 232 26 60
Österreich: Avusturya Alevi Birlikleri Federasyonu / Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich, Molkereistr. 3-2, A-1020 Wien.
Christoph Peter Baumann, 2000
Letzte Aenderung 2001, © cpb 2000, Infostelle 2000
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