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  Baha'i
aus: Informationsblatt 3/95
Zur Entstehung der Baha'i - Religion
Im Jahr 1844 verkündet der in Shiraz geborene Mirza Ali Muhammad, der Bab ("Tor") eines kommenden grossen Propheten, des vom schiitischen Islam erwarteten Imam Mahdi, zu sein - später versteht er sich als dieser selbst. Er droht der islamischen Welt die Katastrophe an, wenn sie sich nicht zu seiner neuen Wahrheit bekehre. Hatte er sich zunächst nur als innerislamischer Reformer verstanden, so löst er sich mit dem Bayan ganz vom Islam. Der Bayan enthält ein neues Religionsgesetz und eine in der Religion begründete Politik, die dem Djihad und der Hoffnung auf einen eigenen Babi-Staat einen wichtigen Platz einräumt. Die Gruppe wird daraufhin grausam verfolgt und der Bab 1850 erschossen, doch ist damit die Bewegung nicht am Ende: Mirza Husain Ali Nuri, als Siebenundzwanzigjähriger Anhänger des Bab geworden, im Zusammenhang mit einem am Schah verübten Attentat in Teheran verhaftet, erlebt seine Berufung und nennt sich - allerdings erst später offiziell - Baha'ullah, d. h. "Herrlichkeit Gottes". Ursprünglich war für die Stellung als neue Autorität und Schriftausleger sein Halbbruder Subh-i-Azal vorgesehen und innerhalb der Gemeinde auch anerkannt, doch behauptet sich der organisatorisch geschickte und staatsloyale Baha'u'llah: Die Gruppe um den zurückgezogenen und streng an der Lehre Babs festhaltenden Subh-i-Azal wird kleiner. Die beiden werden nach Adrianopel, Konstantinopel und, als die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht, getrennt nach Akka bzw. Zypern verbannt. In Akka bleibt Baha'u'llah mit seiner Familie bis zu seinem Lebensende 1892; zuerst unter strengen, dann immer freieren Haftbedingungen. In der Verbannung entstehen die meisten seiner zahlreichen Schriften, mit denen er die Baha'i-Religion begründet : Es sind Sendschreiben an bedeutende Persönlichkeiten seiner Zeit mit Bitten um Friede und Bekehrung, v. a. aber auch das heiligste Buch der Baha'i, der Kitab-al-Aqdas. Indem er sich als Vollender des Bayan und damit als der vom Bab angekündigte Gesandte Gottes bezeichnet, begründet er eine eigenständige Baha'i-Religion, mit der die Mission des Bab abgeschlossen ist.

Bah'a'ullah bestimmt seinen ältesten Sohn Abdu'l-Baha zum Nachfolger und einzigen bevollmächtigten Ausleger. Auch ihm macht ein Halbbruder diese Ehre streitig; doch Abdu'l-Baha, der als vollkommener Mensch gilt, kann sich durchsetzen. Er baut in Haifa ein Zentrum für die Baha'i und unternimmt zahlreiche Missionsreisen in den Westen. Die dadurch steigende Zahl von Gläubigen in aller Welt macht eine besser strukturierte Organisation nötig. In seinem - z.T. ebenfalls wieder angezweifelten - Testament verfügt er, dass sein ältester Enkel Shogi Effendi die im Kitab-al-Aqdas angelegte Ordnung in die Realität umsetzen soll. 1921 übernimmt er diese Aufgabe als sog. "Hüter des Bundes". Er betätigt sich ausserdem als Übersetzer von Offenbarungsschriften ins Englische und verfasst eigene Werke.

Heute sind die Baha'i im Iran verboten. Seit der Islamischen Revolution waren sie massiven Verfolgungen ausgesetzt. Es leben dort nur noch ca. sechs Prozent aller Baha'i, in Afrika sind es ca. zwanzig und in Indien vierzig Prozent. Wohl nicht zuletzt dank den verschiedenen Mehrjahresplänen Shogi Effendis zur Verbreitung der Baha'i - Religion gibt es heute weltweit - die Angaben sind sehr schwankend - vielleicht 5 Mio. Baha'i.

Die Verwaltungsordnung
"Diese Entwicklung [Angriffe auf Gläubige, die die Verwaltungsordnung errichten, d.V.] geht durch sämtliche Stufen der Unterdrückung, des sich Freimachens, der Anerkennung als eine unabhängige Offenbarung und als Staatsreligion und muss schliesslich zur Begründung des Baha'i-Staates führen und letzten Endes in einer Baha'i-Weltgemeinschaft gipfeln". (Shogi Effendi, Gott geht vorüber, S.413). - Die von Shogi Effendi in die Praxis umgesetzte "Verwaltungsordnung" soll Kern und Modell für eine neue Weltordnung sein. Sie hat eine als gottgegeben betrachtete Grundlage - das Kitab-al-Aqdas - und gilt darum selber als göttlich. Wie sieht sie aus?

Einerseits gibt es Institutionen, die von der jeweils höheren Stufe ernannt werden. Zuoberst steht als geistiges Oberhaupt und unfehlbarer Ausleger des Wortes Gottes der Hüter. Da dieser ein direkter männlicher Nachkomme Baha'u'llahs sein muss und Shogi Effendi keinen Sohn hatte, die übrigen in Frage kommenden Verwandten aber alle "Bündnisbrecher" geworden waren, wird das Amt seit seinem Tod nicht mehr besetzt. Weitere Ämter, deren Ausführende ernannt werden, sind die Hände der Sache, die kontinentalen Beraterämter, das internationale Lehrzentrum und die Hilfsämter. Ihre Aufgaben sind u. a. Verbreitung und Schutz der Religion und Beratung. Der Hüter und diese Ämter bilden zusammen den ernannten Pfeiler.

Anderseits gibt es neunköpfige gewählte Gremien. Auf der untersten Ebene sind das die örtlichen geistigen Räte, die z.B. die Feste organisieren, die Armen unterstützen und den Glauben verbreiten. Über ihnen stehen die nationalen geistigen Räte, die u.a. die nationalen Besitztümer verwalten. Zusammen mit dem indirekt gewählten Universalen Haus der Gerechtigkeit bilden diese Räte den gewählten oder verwaltenden Pfeiler.

Das oberste Verwaltungsorgan, das Universale Haus der Gerechtigkeit, hat seinen Sitz in Haifa. Es ist oberster Gerichtshof in der Rechtsprechung und erlässt Gesetze für die Gegenwart in Ergänzung zu Baha'u'llah; das von ihm gesetzte Recht gilt als mittelbar göttliches Recht. Mitglieder sind nur Männer. "Was diese Körperschaft einstimmig oder mit Stimmenmehrheit entscheidet, ist die Wahrheit und Gottes eigener Wille. Wer davon abgeht, gehört wahrlich zu denen, die Uneinigkeit lieben, Bosheit zeigen und sich vom Herrn des Bündnisses abkehren." (Abdu'l-Baha, Wille und Testament, zitiert in Esslemont S.304f.)

Die Verwaltungsordnung ist also zu einem guten Teil demokratisch, doch sind auch die autokratischen Züge des Systems und sein hoch gegriffener Anspruch der Gottgegebenheit beachtlich.

Grundsätze
Die Baha'i betrachten ihre Religion als Weltreligion und sehen in ihr alle früheren Religionen erfüllt. Viele ihrer Lehren entstammen denn auch andern Religionen. Sie glauben an einen Gott, der allwissend, allmächtig, allgegenwärtig und absolut transzendent ist. Der Gedanke der Einheit Gottes ist zentral. Dieser Einheit entspricht auch die Einheit der Menschheit und die der Schöpfung. Und auf Einheit hin werden die Endzeitverkündigungen aus AT, NT und Koran gelesen: Die alte Weltordnung wird zerfallen und stufenweise ein friedlicher Weltstaat unter Baha'ullah entstehen.

Der Mensch muss Gott anerkennen und lieben. Ihn partiell zu erkennen ist möglich durch die Schöpfung und v.a. durch sog. Manifestationen Gottes, als welche z. B. Krischna, Moses, Christus und Mohammed gelten. Es sind Menschen, die als Spiegelungen Gottes die Menschen zur Wahrheit führen. Ihre Offenbarungen sind göttliche Wahrheit, ihre jeweilige Form entspricht aber dem Erkenntnisvermögen der Menschen ihrer Zeit und wird immer deutlicher. Der Prophet für das gegenwärtige Zeitalter - aber nicht der letzte - ist Baha'u'llah. Er gilt als der Heilsbringer, den die einzelnen Religionen für die Endzeit erwarten.

Die Baha'i betonen die Aufgeklärtheit ihrer Religion. So soll jeder die Wahrheit selbst erforschen, und die Übereinstimmung, ja gegenseitige Bedingtheit von Religion und Wissenschaft wird gefordert. Auf das vielleicht deutlichste aufklärerische Element verweist der Gedanke, dass die Manifestationen Gottes Erzieher der Menschen sind: Den Glauben an die Vervollkommnung der Menschheit.

Regelungen im Alltag
Während die Baha'i in ihrer Organisationsform ein ideales Modell für die zukünftige Weltordnung sehen, so betrachten sie ihren Glauben als deren ideale ethische Grundlage. Eine stattliche Anzahl Gesetze regelt möglichst alle Bereiche menschlichen Lebens. Der Gehorsam ihnen gegenüber ist neben der Annahme der Manifestationen unerlässlich für den Weg zur göttlichen Wahrheit, Krankheit und Leiden werden als Folge von Ungehorsam betrachtet. Auch staatlichen Gesetzen ist Folge zu leisten.

Die einzelnen sind seit Abdu'l-Baha zur Einehe verpflichtet (im Gegensatz zu den Regelungen im Kitab-al-Aqdas) und haben vor der Heirat die Zustimmung der Eltern einzuholen. Alkohol und andere Rauschmittel sind verboten. Wichtig und auch dem Grundsatz der Einheit verpflichtet ist die Forderung nach Nächstenliebe.

Die Baha'i kennen keinen Priesterstand und keine sakramentalen Handlungen, doch strukturieren Pflichten und Feste das Leben: Täglich sollen rituelle Waschungen und Gebete (keine freien Gebete) durchgeführt werden. Der letzte Monat des Baha'i - Jahres, das aus 19 Monaten à 19 Tagen besteht, ist Fastenzeit. Eine Reise zu den heiligen Stätten ist erstrebenswert. Gefeiert werden das Neujahrsfest, das Ridvan-Fest und andere Tage, die an Geschehnisse aus der Geschichte der Religion erinnern. Monatlich findet das 19-Tage-Fest statt, eine dreiteilige Feier mit Lesung aus Schriften von neun Hochreligionen, einem beratenden und einem geselligen Teil. In der Beratung werden Botschaften des Universalen Hauses der Gerechtigkeit verlesen und Probleme der Gemeinde besprochen. Hier können auch einzelne Vorschläge ins Gespräch bringen, die gegebenenfalls an höhere Instanzen weitergeleitet werden. Nicht-Baha'i dürfen an dieser Feier nicht teilnehmen.

Anfragen
Einige Anfragen wird man an diese Religion stellen dürfen. Etwa die, wie sich Toleranz und Wertschätzung anderer Religionen vertragen mit dem Anspruch, die gegenwärtig "richtige" Religion zu sein. Oder auch, warum bei lautstarker Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter ins Universale Haus der Gerechtigkeit keine Frauen gewählt werden dürfen. Der grösste Stein des Anstossses ist wohl die Hoffnung, dass baldmöglichst ein Weltstaat unter Baha'ullah errichtet wird. Immerhin sollen diese Umwälzungen gewaltfrei und nicht revolutionär vonstatten gehen. Man darf auch bedenken, dass sowohl Altes wie Neues Testament Visionen universaler Eintracht kennen. Doch steht im NT diese Hoffnung unter dem eschatologischen Vorbehalt. Darin, dass für die Baha'i das Paradies jetzt und eigenhändig zu gestalten ist, mögen Chancen liegen, gleichzeitig ist aber auch die Gefahr der Ideologie und der zwanghaft angestrebten Verwirklichung dieser Ziele gegeben.
Literatur:
Shoghi Effendi: Gott geht vorüber, Oxford: George Ronald Verlag 1954.

J. E. Esslemont: Baha'u'llah und das neue Zeitalter, Oberkalbach 51972.

Udo Schaefer, Nicola Towfigh, Ulrich Gollmer: Desinformation als Methode, Hildesheim: Georg Olms Verlag 1995.

Manfred Hutter: Die Baha'i. Geschichte und Lehre einer nachislamischen Weltreligion, Marburg: REMID 1994.

Therese Graf, 1995
Letzte Aenderung 1995, © tg 1995, Infostelle 2000
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