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  ETG Evangelische Täufergemeinden
  Uebersicht
  Von den Fröhlichianern zu den Evangelischen Täufergemeinden (ETG)
Die Evangelischen Täufergemeinden (ETG) gehörten unter ihrem früheren Namen Gemeinden Evangelisch Taufgesinnter oder unter den Kürzeln Neutäufer und Fröhlichianer zu den umstrittensten Freikirchen, da ihr Hauptziel, "reine Gemeinde" zu sein, sie dazu führten, sich von der umgebenden Gesellschaft und von allen anderen Kirchen möglichst abzusondern und die "Reinheit" im Innern mit rigiden Vorschriften und strenger Kontrolle durchzusetzen. In den letzten Jahrzehnten machten die Taufgesinnten eine Entwicklung durch, die die Gemeinschaft den evangelikalen Verbänden und Theologien mehr und mehr anglich, so dass die Evangelischen Täufergemeinden heute eine evangelikale Freikirche unter anderen sind.

Dieser Entwicklung Rechnung tragend wird die Benennung der Bewegung im folgenden differenziert: als "Fröhlichianer" werden die Anhänger Fröhlichs und die Taufgesinnten bis zur Oeffnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet, damit andeutend, dass Person und Werk Fröhlichs für die Bewegung bis vor kurzem entscheidend war. Der aus dem Oeffnungsprozess hervorgegangene Gemeindeverband wird als Evangelische Täufergemeinden oder ETG angeführt. 

1 Der Gründer: Samuel Heinrich Fröhlich
1.1 Werdegang
Die bis in die letzten Jahrzehnte hinein gültige Lehre und Praxis der Fröhlichianer kann nicht verstanden werden ohne die Person Samuel Heinrich Fröhlichs, welcher die von ihm gegründeten Gemeinschaften weit stärker und nachhaltiger geprägt hat als es für die Gründer von Freikirchen üblich ist. Der Rang Fröhlichs und seine Autorität war für die Fröhlichianer bis vor kurzem denn auch höher als diejenige eines "normalen" Freikirchen-Gründers.

Fröhlich, am 4. Juli 1803 in Brugg geboren, ergriff die Laufbahn eines reformierten Pfarrers. Während seines Studiums in Zürich und Basel kam er mit der liberalen Theologie in Berührung, der er sich eine Zeitlang auch zurechnete. 1823 kommt Fröhlich in Basel mit erwecklichen Kreisen in Kontakt, was zu einer tiefen Glaubenskrise führt, die sich mit gesundheitlichen Problemen, Fröhlich leidet zeitlebens an Asthma, verbindet. Im Jahr 1825 bekehrt sich Fröhlich zu einem erwecklichen Christentum.

Im Frühling 1827 wird Fröhlich trotz seiner neuen Ausrichtung für den aargauischen Pfarrdienst ordiniert.

1.2 Trennung von der reformierten Kirche
Nach einer Tätigkeit als Hauslehrer in Feuerthalen und einer Vikariatsstelle in der Probstei Wagenhausen wird Fröhlich Pfarrverweser in Leutwil. Fröhlichs erweckliche Verkündigung führt dort schnell zu Problemen, der Kirchenbesuch ist katastrophal schlecht, weil Fröhlichs Theologie in der liberal geprägten Gemeinde schlecht ankommt. So finden von 1800 Kirchgemeindegliedern sonntags gerade mal vier zum Gottesdienst. Fröhlich zweifelt am Modell der Volkskirche und beginnt, über die Tauffrage nachzudenken, und gelangt hier zu radikalen Ansichten, die selbst von seinen erwecklichen Freunden nicht mehr geteilt werden: Die Taufe wird für Fröhlich zum heilsentscheidenden Datum des Christseins, der Taufakt löscht alle bisher begangenen Sünden, aber auch die innewohnende Sünde, die Erbsünde, und macht damit ein sündloses, perfektes Leben möglich, und zwar nicht nur sinnbildlich, sondern wirklich.

Diese Auffassung der Taufe ermöglicht es Fröhlich, ein Konzept der Gemeinde zu entwickeln, das davon ausgeht, dass die Gemeinde aus getauften, und darum sündlos lebenden Menschen bestehen sollte. Die Gemeinde ist damit "rein", perfekt. Fröhlichs Vorstellungen können deshalb als "Perfektionismus" beschrieben werden.

Mit der reformatorischen Einsicht, dass die Christin/der Christ nicht nur gerechtfertigt ist, sondern auch weiterhin dem Scheitern ausgesetzt bleibt, hat dieses Modell Fröhlichs nichts mehr gemein. Zum Symbol dieser Verschiedenheit der Gemeindemodelle wird für Fröhlich die Kindertaufe, die sich mit dem Konzept der "reinen" Gemeinde nicht verträgt (weil sich ein Kind zum "reinen" Leben ja nicht entscheiden kann), sondern nur dann sinnvoll ist, wenn davon ausgegangen wird, dass sich Glaube und Scheitern ohnehin nicht trennen lassen (und der Glaube nicht von persönlichen Entscheidungen, sondern von Gott selbst gewirkt ist, was bei Kindern ebensowohl geschehen kann wie bei Erwachsenen). Fröhlich lehnt die Kindertaufe deshalb scharf ab, er spricht vom "Götzen der Kindertaufe". Fröhlichs Ausscheiden aus der reformierten Kirche wird so zur Frage der Zeit.

Im Oktober 1830 wird Fröhlich durch die Aargauer Regierung aus Leutwil abberufen, weil er sich weigert, das in diesem Jahr neu eingeführte Unterweisungsbuch der Aargauer Kirche zu verwenden. Im Zusammenhang mit seiner Abberufung meint Fröhlich, die Aargauer Regierung als "antichristlich" beschimpfen zu müssen.

Fröhlich nimmt in der Folge eine Stelle bei der freikirchlichen "neuen würthembergischen Gemeinde Wilhelmsdorf" an, die er aber bald wieder aufgibt, weil diese Gemeinschaft die Kindertaufe pflegt.

1.3 Fröhlich als Missionar
Im November 1831 stellt sich Fröhlich in den Dienst der Baptist Continental Missionary Society, der "Continentalgesellschaft", einer britischen Missionsgesellschaft, als deren Missionar in der Schweiz Fröhlich in den nächsten Jahren wirkt. In diesem Zusammenhang kommt Fröhlich in Kontakt mit dem Genfer Réveil, der Erweckungsbewegung in Genf, und lässt sich dort im Jahr 1832 von Ami Bost durch Besprengung taufen, ein Taufverfahren, das Fröhlich noch viele Probleme einbringen wird. Als Missionar in der Schweiz wäre es Fröhlichs Aufgabe, hierzulande neue Gemeinden zu begründen. Dazu ist er aber im Grunde nur bedingt begabt, wenn er von sich selbst meint: " ... ich habe nicht den Mut, jedermann auf der Gasse anzupredigen mit dem Evangelium". Fröhlich muss sich deshalb eine Missionsstrategie einfallen lassen, die Gassenpredigten nicht notwendig macht. Dazu bedient er sich der Früchte, die aus der Saat anderer hervorgegangen sind: Fröhlich wird ausschliesslich an Orten tätig, wo schon erweckliche Kreise bestehen, die auf die Wirksamkeit von Erweckungspredigern oder erwecklich gesinnten reformierten Pfarrern zurückgehen, führt sich in diese Kreise ein und versucht, sie für seine spezifischen Lehren zu gewinnen.

Vorerst gelingt es Fröhlich, manche erweckten Kreise von der Richtigkeit und Wichtigkeit seiner Tauflehre zu überzeugen und die Notwendigkeit einer (erneuten) Taufe plausibel zu machen. Wer sich zu diesem Schritt entscheidet, wird von Fröhlich durch Besprengen getauft, allerdings erst nach Ablegen eines Gehorsamsgelübdes, welches beinhaltet, als Christ sündlos zu leben.

1.4 Fröhlich als Gemeindegründer
Am Anfang seiner missionarischen Tätigkeit sucht Fröhlich den Kontakt zu den Mennoniten im Emmental, den Alttäufern, die eine Tauflehre vertreten, die Fröhlichs Auffassung am nächsten steht.

Eine Zusammenarbeit mit den Alttäufern kommt aber nicht zustande, Fröhlich wünscht eine solche wohl auch nicht. Den Zustand der Mennonitengemeinde kritisiert Fröhlich harsch.

So führt Fröhlich einen Teil der Mennonitengemeinde aus der Gemeinschaft hinaus und in seine eigene, entstehende Gemeindebewegung hinein.

Weitere frühe Gemeindegründungen Fröhlichs, immer durch Einbringen seiner Tauflehre in schon vorher erweckte Kreise, erfolgten in Leutwil, dem Ort seiner ehemaligen Verweserschaft, und in Bischofszell/Hauptwil, wo Fröhlich seine spätere Frau Susette Brunschweiler kennenlernte. Im Jahr 1836 meldet Fröhlich der Continentalgesellschaft in London 14 durch ihn gegründete Gemeinden mit 427 getauften Mitgliedern.

1.5 Die Organisation von Fröhlichs Gemeinden
Fröhlich ist in der Folge mit der Organisation dieser Gemeinschaften beschäftigt. Es stellen sich mehrere Fragen, u.a.: Wie sollen die gegründeten Gemeinschaften organisiert werden? Welche Aemter werden eingeführt? Mit welchen anderen Gemeinschaften wird zusammengearbeitet?

Die letztere Frage entscheidet sich für Fröhlich schnell. Ein Zusammengehen mit Karl von Rodt und dessen Freien Evangelischen Gemeinden scheitert, da von Rodt sich der fröhlichschen Tauflehre nicht anschliessen mag. In der Folge wird die Tauflehre für Fröhlich und die Seinen zum entscheidenden Kriterium jeder Zusammenarbeit, was dazu führt, dass eine solche sich nie ergibt. Ob eine solche Zusammenarbeit von Fröhlich wirklich gewünscht würde, oder ob Fröhlich seine Tauflehre und deren Bedeutung mit Absicht exklusiv formuliert, um jegliche Zusammenarbeit zu verhindern, ist für den Aussenstehenden sehr die Frage.

Bei der Ausgestaltung der Aemter seiner Gemeinden lässt sich Fröhlich von seiner Ablehnung alles Landeskirchlichen leiten: Selbst ausgebildeter Theologe, der von seinem biblisch-historischen Wissen auch regen Gebrauch macht, sieht Fröhlich eine solche Ausbildung für die Verkündiger seiner Gemeinden nicht vor. Er setzt vielmehr "Lehrbrüder" ein, die ohne jede Ausbildung und ehrenamtlich die Verkündigung in den Gemeinden zu übernehmen haben. Die Leitung der Gemeinden liegt in den Händen von Aeltesten.

1.6 Spaltungen
Nach 1836 ist Fröhlich mit den Folgen seiner an einer speziellen Tauflehre orientierten Verkündigung konfrontiert: Fröhlichs hoher Anspruch, dass die Taufe ein sündloses Leben ermöglicht, lässt sich nicht durchhalten. Getaufte Gemeindeglieder scheitern und zweifeln so, streng nach der Tauflehre Fröhlichs, an der Gültigkeit von dessen Taufe: Wenn die Taufe ein sündloses Leben ermöglicht, ich selbst als Getaufter nicht sündlos sein kann, war dann nicht die Taufe unwirksam? Fröhlichs Anhänger beginnen so, nach Fehlern in seiner Taufpraxis zu suchen, die eine Unwirksamkeit der Taufe ausgelöst haben könnten.

Wortführer dieser oppositionellen Richtung wird Johannes Winzeler aus Thayngen. Er erkärt die Unwirksamkeit von Fröhlichs Taufe so: Fröhlich würde die Menschen mit dem der Taufe vorangehenden Gehorsamsgelübde unter das Gesetz stellen, an welchem der Mensch naturgemäss scheitert, dabei wäre es darauf angekommen, nichts zu versprechen, sondern bloss den Verheissungen Gottes zu glauben.

Die Folgerung für Winzeler ist: Fröhlichs Taufen sind ungültig. Winzeler beginnt, von Fröhlich (wieder)getaufte Menschen ein drittes Mal zu taufen. Winzeler reist von einer Fröhlichianer-Gruppe zur nächsten und versucht, sie für sein Taufverständnis zu gewinnen. So erlebt Fröhlich seine eigene Missionsstrategie aus der anderen Perspektive und verliert manche Gemeinde. Schmerzhaft für Fröhlich ist insbesondere der Uebergang der Familie seiner Frau zu Winzeler.

Für Fröhlich ist klar, dass hinter Winzeler der Satan steht. Die Winzeler-Anhänger sind für Fröhlich "eine Sekte".

Nur anmerkungshalber sei festgehalten, dass auch die Winzeler-Gemeinschaft von Spaltungen nicht verschont blieb. Ein Gabathuler aus Räfis bei Buchs machte dadurch auf sich aufmerksam, dass er Menschen, die von Winzeler das dritte Mal getauft wurden, eine vierte Taufe zukommen liess. Wenn eine Tauflehre konkrete, beobachtbare und anhaltende Wirkungen der Taufe behauptet, die dann nicht durchzuhalten sind, wird die Wirksamkeit der Taufe widerlegt und eine neue Taufe nötig, die, alsbald erneut widerlegt, wiederum nach neuem Getauftwerden schreit. So führt gerade die Lehre, die die Taufe am meisten betonen wollte, in der Praxis zu ihrer grössten Entwertung. Die Erfahrungen der Katharer mit ihrem Consolamentum sind diesem Prozess in vielem vergleichbar.

Die Anhänger Winzelers sind in der Folge zum Baptismus übergegangen oder zur reformierten Kirche zurückgekehrt.

1.7 Fröhlichs weiteres Leben
In den folgenden Jahren ist Fröhlich insbesondere im Kanton Zürich tätig, wo ihm die Gründung einiger neuer Gemeinden glückt.

Zwei Gemeindegründungen in Deutschland durch reisende Handwerker, die mit Fröhlich in der Schweiz in Kontakt kamen, gehen an die Baptisten verloren. Später entstehen in Süddeutschland einige Gemeinschaften.

Sehr belastend ist für Fröhlich die Tatsache, dass es ihm nicht gelingt, seine Eheschliessung mit Susette Brunschweiler zu legalisieren. Fröhlich lehnte eine kirchliche Trauung ab, und die Anerkennung einer Zivilehe war bis 1874 den einzelnen Kantonen vorbehalten. Fröhlich hätte eine Anerkennung durch die Aargauer Regierung benötigt. Mit dieser hatte er es sich aber durch seine undiplomatischen Bemerkungen gründlich verdorben.

Die Jahre 1844 bis zu seinem Tod am 15. Januar 1857 verbringt Fröhlich im Exil in Strassburg, wo eine, in der Schweiz allerdings nicht anerkannte, Zivilehe möglich war. Fröhlich betreut seine Gemeinden durch Korrespondenz und gelegentliche Besuche.

2 Die Lehre Fröhlichs und der Evangelisch Taufgesinnten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts
2.1 Taufe
Die Taufe war für Fröhlich das heilswendende Ereignis im Leben des Christen schlechthin. Durch die Taufe wird die Chirstin, der Christ ein neuer Mensch, Sünde und Sündhaftigkeit sind abgelegt, der Mensch lebt nun sündlos. Die Tauflehre wird für die Evangelisch Taufgesinnten zum Massstab des Christseins: Nur wer in der Tauffrage identisch lehrt, kann chirstlich genannt werden, und das ist niemand ausserhalb der Fröhlichianer. Die Fröhlichianer verstanden sich so lange als de facto alleinseligmachend (zwar blieben sie dafür offen, dass es auch in anderen Gemeinschaften gerettete Menschen geben kann, konkrete Auswirkungen scheint diese Vorstellung aber nicht gehabt zu haben).
2.2 Die "reine Gemeinde"
Die Gemeinde als die Versammlung getaufter und damit sündloser Menschen ist "rein", frei von sündhaftem Verhalten. Diese Reinheit gilt es zu erhalten, weshalb Sünde durch Gemeindedisziplin bekämpft wurde.

Zum Erhalt der Reinheit trugen verschiedene Verhaltensvorschriften bei, etwa die Partnervermittlung durch die Aeltesten.

2.3 Wehrlosigkeit
Besonderer Ausdruck der Reinheit war für die Fröhlichianer die Verweigerung des Militärdienstes mit der Waffe. Fröhlichianer liessen sich zum waffenlosen Dienst einteilen.
2.4 Gemeindedisziplin
Aufrechterhalten wurde die Reinheit der Gemeinde durch die Gemeindedisziplin, die in den Händen der Aeltesten lag. Menschen, die Vorschriften verletzten, wurden ermahnt und mussten vor der ganzen Gemeinde ein Sündenbekenntnis ablegen. Uneinsichtige wurden unter Strafe gestellt, nicht mehr zum Abendmahl zugelassen oder, als nächster Schritt, aus der Gemeinde ausgeschlossen.
2.5 Absonderung
P>Der Begriff der "Absonderung" war den Fröhlichianern bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts äusserst wichtig. Mit der "Welt", der Gesellschaft, hat eine Christin/ein Christ möglichst nichts zu tun. Die "Absonderung" drückte sich in verschiedenen Verboten aus, die folgende Bereiche betrafen:
- Mitgliedschaft in Vereinen
- Sport in jeder Form
- Besuch von Badeanstalten
- Feste (Volksfeste, aber auch Betriebsfeste)
- Massenmedien (Radio und Fernsehen)
- kulturelle Anlässe und Kulturgenuss (Theater, Oper, Kino, Schallplatten)
- Brauchtum (Fasnacht, Christbaum, Osterhase)
- Restaurant-Besuch
- Teilnahme an Gottesdiensten anderer Kirchen, auch an Beerdigungen z.B. (solches galt als "geistige Befleckung" resp. "geistige Hurerei").

Eine Nichtbeachtung dieser Verbote hatte disziplinarische Massnahmen zur Folge.

Keinerlei Absonderung übten die Fröhlichianer jedoch im Bereich der Wirtschaft. Beteiligung am Wirtschaftsleben war im Gegenteil erwünscht, viele Fröhlichianer waren hierbei auch äusserst erfolgreich.

Die vollkommene Abschottung der Fröhlichianer gegenüber jedem nichtberuflichen Kontakt gegen aussen führte dazu, dass für die Mitglieder das soziale Umfeld und die Gemeinde deckungsgleich wurden. Es konnte sich in diesem Milieu eine Insider-Sprache etablieren, die die Kommunikation mit Aussenstehenden erheblich erschwerte.

Die Tatsache der Absonderung machte einen Gemeindeausschluss für den Betroffenen zur Katastrophe. Er verlor sein gesamtes soziales Netz.

2.6 Gehorsam gegenüber den Aeltesten
Die Reinheit der Gemeinde und deren Absonderung wurde von den Aeltesten garantiert. Sie hielten durch die Gemeindedisziplin die Reinheit aufrecht. Insofern erstaunt nicht, dass den Weisungen der Aeltesten im allgemeinen unbedingt Folge geleistet wurde. Angehörige der Fröhlichianer sprachen in diesem Zusammenhang selbst von "blindem Gehorsam". Widerstand gegen eine Weisung der Aeltesten galt als "Zaubereisünde".
2.7 Reiches soziales Leben im Innern
Kehrseite der rigorosen Absonderung von der Welt war ein ausgeprägtes Sozialleben im Innern der Gemeinschaft. Gegenseitige Einladungen hatten eine grosse Bedeutung, der Sonntag wurde jeweils zur Gänze im Rahmen der Gemeinschaft verbracht. Das soziale Aufgehobensein, das die Fröhlichianer so zu bieten vermochten, war für die nicht sehr zahlreichen Beitritte zur Gemeinschaft wohl die Hauptmotivation.
2.8 Die Bedeutung der Fröhlich-Schriften
Das Schrifttum von Samuel Heinrich Fröhlich wurde unter den Fröhlichianen intensiv gelesen und hatte einen de facto unfehlbaren Rang, wenn es auch in seiner Bedeutung der Bibel nachgeordnet war.
2.9 Die Gottesdienste
Besonderes Merkmal der Fröhlichianer waren ihre Gottesdienste, die durch manche Eigenheiten ein eigentümliches Gepräge erhielten:

- Auf Instrumentalbegleitung des Gesanges wurde verzichtet. Statt dessen wurden die Lieder a capella, aber vierstimmig vorgetragen.

- Die Verkündigung lag in den Händen der Lehrbrüder, wobei jeweils nicht zum voraus vereinbart wurde, welcher Lehrbruder sprechen würde. Es erhob sich im Gottesdienst derjenige, der sich berufen fühlte. Der Betreffende trat zum "Pult", schlug die Bibel auf und las den so zufällig bestimmten Text. Dieser war dann mit Hilfe der Inspiration durch den Heiligen Geist auszulegen.

- Die Frauen der Gemeinde hatten ein Kopftuch zu tragen.

3 Die weitere Geschichte der Fröhlichianer
3.1 Internationale Ausbreitung
Hatten die Fröhlichianer schon zu Fröhlichs Lebzeiten in der Schweiz, in Süddeutschland und im Elsass Fuss gefasst, vermochten sie sich in der Folge nach Osteuropa und nach Nordamerika ausbreiten:

- Nach Ungarn erfolgte die Ausbreitung durch ungarische Handwerksgesellen, die in der Schweiz mit Fröhlich in Kontakt kamen. Nach ihrer Rückkehr begründeten sie in Ungarn Gemeinden, die unter dem Namen "Nazarener" auftraten. Von Ungarn aus gelangte die fröhlichianische Botschaft in andere Gebiete der Habsburger-Monarchie und in weitere Länder Osteuropas.

- In Nordamerika erfolgte die Ausbreitung einerseits durch auswandernde Fröhlichianer, zum anderen durch Bekehrung von Amish. Aufgrund letzteren Sachverhaltes wurden die Fröhlichianer in den USA als "New Amish" bezeichnet. Offiziell nennen sich die Fröhlichianer in den USA allerdings "Apostolich Christian Church" (ACC).

3.2 Die grosse Spaltung
Um die Jahrhundertwende erlebten die Fröhlichianer eine schwere Krise, die zur Spaltung der Bewegung in zwei Teile führte. Der äussere Anlass war, für gesetzliche Gemeinschaften ganz typisch, eine Kleinigkeit: die Frage, ob die Männer einen Oberlippenbart tragen dürfen oder nicht. Der Oberlippenbart wurde von vielen Fröhlichianern als typisches Merkmal eines Offiziers empfunden und deshalb abgelehnt. Andere Fröhlichianer, insbesondere solche aus Osteuropa, wo eine solche Barttracht zum normalen Erscheinungsbild des Mannes gehört, hatten für diese Deutung wenig Verständnis.

Die Debatte eskalierte, vier internationale Brüderversammlungen konnten keine Einigung erzielen, worauf sich die Bewegung spaltete in rigoristischere, "unvertragsame" Fröhlichianer ohne Oberlippenbart und weniger rigoristische, "vertragsame" mit Oberlippenbart. Beide Richtungen verwendeten jedoch weiterhin denselben Namen "Gemeinden Evangelisch Taufgesinnter". Ein Kontakt zwischen den beiden gleichnamigen Gemeinschaften war zumindest im deutschen Sprachraum nicht mehr möglich.

Die heutige ETG geht auf die "vertragsame" Richtung mit Oberlippenbart zurück.

Die ACC in den USA spaltete sich in die Apostolic Christian Church (Nazarene) mit Oberlippenbart und in die Apostolic Christian Church of America ohne Oberlippenbart. Letztere spaltete sich 1932 erneut, diesmal über der Frage, ob die Sprache des Gottesdienstes vom Deutschen aufs Englische umgestellt werden sollte. Eine Minderheit lehnte dies ab, trennte sich und firmiert seither unter dem Namen German Apostolic Christian Church.

4 Die Entwicklung zur ETG
4.1 Gründe der Oeffnung
Der entscheidende Prozess in der Geschichte der ETG ist zweifellos der Oeffnungs- und Umgestaltungsprozess, den die Gemeinschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchmachte und der aus der Sondergruppe eine "normale" evangelikale Freikirche werden liess.

Diese Veränderungen wurden durch verschiedene Entwicklungen und Probleme ausgelöst:

- Den abgesonderten Gemeinschaften gelang es im 20. Jahrhundert immer schlechter, die Jugend in die Gemeinschaft zu integrieren. Auf die Durchsetzung der Gemeindedisziplin gegenüber der Jugend musste, um grössere Abgänge zu vermeiden, weitgehend verzichtet werden.

- Die Differenz zur "Welt" wurde infolge der zunehmenden Bedeutung der Massenmedien (und der Information generell), welche für die Fröhlichianer weitgehend verboten waren, immer grösser.

- Die fortlaufende Verbesserung des Ausbildungsstandes in der Gesellschaft und unter den Gemeindegliedern geriet zu einer immer grösseren Herausforderung für den bewussten Verzicht auf jegliche theologische Ausbildung seitens der Lehrbrüder. Den Anfragen eines gebildeten Publikums waren diese immer weniger gewachsen.

- Auf theologischer Ebene wurde dem Missionsbefehl Aufmerksamkeit zuteil. Die Mission wurde bisher kaum geübt, da das Konzept einer missionarischen Gemeinde sich mit demjenigen einer reinen Gemeinde nur schlecht verträgt.

- Im freikirchlichen Bereich wurden gemeinsame Aktionen verschiedener Freikirchen und freie Werke immer wichtiger. An beidem konnten die Fröhlichianer infolge ihrer "Absonderung" nicht teilnehmen. Sie standen auch hier in Gefahr, von der Entwicklung abgehängt zu werden.

Zusammengefasst standen die Fröhlichianer vor der Wahl, sich entweder gegenüber den evangelikalen Freikirchen zu öffnen und ein Teil der evangelikalen Bewegung zu werden, oder aber auf der "Absonderung" zu beharren und um den Preis einer wohl markanten Verkleinerung immer mehr zur Sondergruppe zu werden.

4.2 Namensänderung
In den siebziger und achziger Jahren nahmen verschiedene Gemeinden Taufgesinnter eine Namensänderung vor, einerseits um die altertümelnde Begrifflichkeit "Taufgesinnte" zu ersetzen, andererseits um sich von den gleichnamigen rigoristischen Gemeinschaften abzugrenzen. So setzte sich der Name "Evangelische Täufergemeinden" allmählich durch. Seit 1990 ist dieser für die ganze Bewegung offiziell.
4.3 Gründung des Verbandes
Ein wesentlicher Schritt im Umgestaltungsprozess von den Fröhlichianern zu der heutigen ETG war die Gründung eines Verbandes im Jahr 1984. Vorher existierte kein solcher, die einzelnen Gemeinden waren de jure autonom. Der Zusammenhalt geschah über die verbindende Tradition und persönlichen Austausch, sowie vor allem über zwar juristisch ungeregelte, aber de facto äusserst einflussreiche Institutionen: die Aeltestenversammlungen und die Brüderversammlungen, die richtungsweisende Entscheide zu diskutieren und zu fällen hatten.

Der Bund Evangelischer Täufergemeinden, wie er seit 1990 heisst, wurde 1984 begründet, wobei nicht alle Taufgesinnten Gemeinden der vertragsamen Richtung eine Mitgliedschaft wahrnehmen (die unvertragsame Richtung lehnt jeden Kontakt zur vertragsamen ohnehin ab). Von den übrigen Gemeinden sind manche dem Verband freundschaftlich verbunden, ohne Mitglied zu sein, andere lehnen den Verband ab.

Legislatives Organ des Bundes ist die jährliche Bundeskonferenz, zu welcher die Gemeinden Delegierte entsenden. Delegierte sind alle Aeltesten, dazu kommen zusätzliche Vertreter pro 50 Mitglieder der Ortsgemeinden. Die Bundeskonferenz wählt auf vier Jahre eine Bundesleitung mit 10 bis 12 Mitgliedern, wovon die Hälfte Aelteste sein müssen. Die Bundesleitung bestimmt ihren Präsidenten.

Sitz des Bundes ist Uster (Brunnenwiesenstrasse 20, 8610 Uster).

4.4 Neuorientierung in Lehre und Praxis
Die ETG hat sich in zahlreichen Fragen von Lehre und Praxis von den fröhlichianischen Gebräuchen distanziert:

- Fröhlichs Tauflehre, einst pièce de résistance der Gemeinschaft, wurde durch ein evangelikales Verständnis der Taufe ersetzt, ein Wechsel, der gar nicht hoch genug gewichtet werden kann, hat die Gemeinschaft doch damit in dem Punkt nachgegeben, welcher ein Jahrhundert Kämpfe und Abgrenzung legitimierte. Das heutige Taufverständnis ist ein symbolisches, die Taufe ist äusseres Zeichen der Wiedergeburt, sowohl des Bekenntnisses des Menschen zu Christus, als auch des Handelns Gottes am Menschen. Die Taufe wird als Erwachsenentaufe geübt, und zwar durch Untertauchen.

- Der Perfektionismus, die Lehre, dass Christen nicht mehr sündigen, wird fallengelassen. Ein Leben nach den Geboten Gottes in allen Lebensbereichen bleibt aber das Ziel, die ETG bekennt auch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit desselben.

- Die Lehrbrüder werden ausgebildet, durch Kurse und/oder durch Besuch von Bibelschulen. Der Besuch von Kursen ist Voraussetzung für eine Tätigkeit als Lehrbruder.

- Zudem kommen zunehmend Vollzeitangestellte mit entsprechender theologischer Ausbildung zum Einsatz, die im Team mit den Lehrbrüdern zusammenarbeiten.

- Zusammenarbeit mit anderen evangelikalen Gemeinden und freien Werken ist selbstverständlich. Die Oekumene wird nach wie vor abgelehnt.

- Gemeindedisziplin wird nicht mehr geübt.

- Die Verbote, die unter dem Titel "Absonderung" verbindlich waren, werden nicht mehr gelehrt. Der richtige Umgang mit der Gesellschaft ist der Verantwortung des einzelnen Gläubigen überlassen. Die Nutzung von Massenmedien und die Beteiligung an gesellschaftlichen Aktivitäten ist für Mitglieder der ETG weitgehend selbstverständlich geworden.

- Mit der Oeffnung der ETG verschwindet die Sondersprache zunehmend. So heisst es heute "Gottesdienst" und nicht mehr "Versammlung".

- Neben diese Abschaffung der "Sonderlehren" der Fröhlichianer trat die Aufnahme mancher Gebräuche aus dem evangelikalen Bereich, so verfügen ETG-Gemeinden heute über Hauskreise, Jugendgruppen, Jungscharen, Bibelabende etc.

- In den Gottesdiensten halten Instrumentalbegleitung und das allgemein evangelikal-charismatische Anbetungs-Liedgut Einzug.

- Zur charismatischen Bewegung besteht eine kritische Distanz.

5 Die ETG heute
5.1 Werke und Arbeitszweige
Die ETG unterhält verschiedene Werke:

- Die 1921 gegründete Genossenschaft HILFE mit Sitz in Zürich stellt das Sozialwerk der ETG in den deutschsprachigen Ländern dar und hilft Gemeindemitgliedern in materieller Not.

- Der Evangelische Missionsdienst unterstützt seit 1955 MissionarInnen, die aus den ETG-Gemeinden kommen, und arbeitet mit anderen Missionswerken wie SMG, OM, WEC, SIM zusammen.

- Die Teenie Alive-Arbeit von Hansjörg Kaufmann, Hinwil, betreibt in Dürnten einen offenen Treffpunkt mit Installationen für diverse Trendsportarten wie Inline-Skating und Unihockey. Besondere "Flashlight"-Anlässe sollen dem jugendlichen Publikum das Evangelium in evangelikaler Prägung näherbringen. Podiumsgespräche beleuchten jugendgemässe Themen aus evangelikaler Sicht. Teenie Alive ist nicht unumstritten, der Vorwurf der Kritiker zielt auf die Ausnutzung sportlicher Interessen für die evangelikale Verkündigung.

- Das evangelische Ferienhaus CREDO in Wilderswil (gegründet 1961) bietet Gästezeiten, Bibelwochen, Familienfreizeiten und Jugendlager an.

- Ganz ähnlich ist die Zielsetzung des Evangelischen Freizeitheims Lindenwiese in Ueberlingen-Bambergen (gegründet 1972).

- Das Angebot - Haus Spalen in Basel hält Wohngruppen für Menschen in diversen Problemlagen bereit.

- Dazu kommen Altersheime in Waldruh/Neuhütten, Au/ZH, Mattenhof/Bern, Stäfa und Pfäffikon/ZH.

- Vom Bund ETG angeboten wird eine Gemeindebibelschule, die auf Kurse und begleitetes Fernstudium aufbaut. Gedacht ist diese Gemeindebibelschule für Lehrbrüder, aber auch für weitere Interessierte, auch Frauen. Die Lehrbücher für die Gemeindebibelschule sind zumeist anerkannte evangelikale "Klassiker".

5.2 Die Bundeszugehörigkeit der ETG- und Taufgesinnten Gemeinden
Von den ETG- und Taufgesinnten Gemeinden (der vertragsamen Richtung) sind Teil des Bundes ETG:

- alle Gemeinden in der Schweiz

- in Deutschland: Bretzfeld-Scheppach, Karlsruhe-Durlach, Kolbermoor-Schlarbhofen, Ludwigsburg, Neuhütten, Oppelsbohm, Siegelsbach, Spaichingen, Steinen, Ueberlingen-Bambergen.

- in Frankreich: Bischwiller und Mulhouse.

 

In freundschaftlicher Verbindung mit dem Bund ETG stehen:

- in Deutschland: Lauffen

- in Oesterreich: Hallein-Rif

- in Frankreich: St. Georges und Nancy

 

Ohne Kontakt zum Bund bleiben:

- in Deutschland: Balingen, Breidenbach, Oehringen, Offstein, Reutlingen und Schutterzell

- in Frankreich: Strassbourg

Diese Gemeinden bilden de facto einen eigenen, inoffiziellen Verband. Ihre Teilnahme am Oeffnungsprozess der ETG ist eine bloss teilweise.

 

Daneben existieren noch Reste der unvertragsamen Richtung, die streng an Fröhlichs Lehren festhält. Deren Anhängerschaft ist aber dem Vernehmen nach von einem hohen Durchschnittsalter, was auch mit einer äusserst restriktiven Aufnahmepraxis zu tun hat. In der Schweiz sind unvertragsame Gemeinden, die sich heute noch Gemeinden Evangelisch Taufgesinnter nennen, bekannt in Bärau, Basel, Rüti/ZH und Zofingen. Die Mitgliederzahl dieser Gemeinschaften beträgt höchstens noch ca. 200.

6 Quellen:
Garfield Alder: Die Tauf- und Kirchenfrage in Leben und Lehre des Samuel Heinrich Fröhlich, VDM, von Brugg 1803-1857, Verlag Peter Lang, Bern 1976, 2. Aufl. 1980

Bund ETG (Hrsg.): Der Bund der Evangelischen Täufergemeinden, Verlag ETG, Uster 1997

Bund ETG (Hrsg.): Was glauben wir? (Glaubensbekenntnis), Uster o.J.

Bund ETG (Hrsg.): Statuten für den Bund der Evangelischen Täufergemeinden, Ausgabe 1992, Uster 1992

Bund ETG (Hrsg.): Leitbild für das Leben und die Arbeit in den Gemeinden, Uster 1995

Bund ETG (Hrsg.): Empfehlungen und Anforderungsprofil für Lehrer (Prediger) in den Evangelischen Täufergemeinden ETG, Uster 1994

Bund ETG (Hrsg.): Gemeindebibelschule ETG, Programm 1997/1998, Uster o.J.

Albert Märki: Evangelische Täufergemeinde. Kurzer geschichtlicher Abriss, Verlag ETG, Uster 1995

Bernhard Ott: Missionarische Gemeinde werden. Der Weg der Evangelischen Täufergemeinden, Verlag ETG, Uster 1996

Hermann Rüegger, Aufzeichnungen über Entstehung und Bekenntnis der Gemeinschaft Evangelisch Taufgesinnter (Nazarener), Zürich 2. Aufl. 1962

Briefliche Auskünfte von Walter Meier, Bund ETG, Uster

Georg Otto Schmid, 1998
Letzte Aenderung 1998, © gos 1998, Infostelle 2000
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