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  "Herr hilf mir, dass ich jetzt wieder zur Predigt finde."
Beobachtungen zu einer Celebration der Harvest Church in Winterthur
Im Sennhof bei Winterthur versammeln sich jeden Monat die verschiedenen Hausgemeindekreise der Harvest Church zur gemeinsamen Celebration. Der Besucher, der von der Hauptstrasse aus die Töss überquert, wird von einem Parkplatzchef freundlich auf einen leerstehenden Platz im Industrieareal Sennhof verwiesen. Ein paar Schritte weiter hinten liegt eine ausgediente Scheune, die nun als Versammlungslokal dient. Von aussen betrachtet wirkt diese "Kirche" wenig einladend. Aber gleich hinter der Eingangstür umfängt den Besucher familiäre Herzlichkeit. Männiglich begrüsst sich viel Hallo und "wie geht’s?" und umarmt sich. Sogar Halbwüchsige, ansonsten im Moment nicht sehr aufs Umarmen erpicht, umarmen sich hier ganz im Stil der etwas älteren Vorbilder. Der Raum trägt das seine zu dieser lockeren Athmosphäre bei. In die riesige Scheune wurde ein mittelgrosses heizbares Zelt hineingestellt. Im Eingang des Zeltes stehen Kaffeebar, Büchertisch, Schriftenstand und der grosse Mischpult für die Tontechnik. Der grösste Teil des Raumes wird von knapp zwanzig Reihen mit Klappstühlen belegt. Zuvorderst auf der Bühne mit viel Raum für die Band prangt ein grosses Holzkreuz, mit mit einer blutroten und einer goldenen Schleife drapiert. Kurz - Campingstimmung mischt sich hier mit familiärer Herzlichkeit und religiöser Inbrunst zu jener Mischung von Gefühlen, in der manche religiöse Seele so richtig aufblüht. Zumeist strahlende Gesichter belegen, dass auch hier im Zelt die Stimmung für die meisten Anwesenden stimmt. Die wenigen anwesenden Skeptiker lassen sich allerdings auch ohne Not ausmachen. Sie sitzen neben strahlenden Bekannten oder Verwandten. Offenbar wurden sie speziell zu dieser Celebration von ihren frommen Freunden "angeschleppt" und harren jetzt mit grossen Vorbehalten der Dinge, die da kommen sollen.
Applaus für Jesus
Ernst Augstburger, offenbar ein Mitglied des inneren Kreises, begrüsst in lockerer Herzlichkeit die Versammlung und staunt über Christus, der dieses Zelt mit Besuchern füllte und der sein Werk "genial" vorantreibt. (Er übersieht die etwa 30 leeren Stühle hinten im Zelt.) Ein tosender Applaus für Jesus begleitet diese Worte. Die drei Zeugnisse, die anschliessen, berichten von persönlichen Erfahrungen mit Gott, erlebt vor allem in anderen Veranstaltungen der Harvest Church, in Kursen und anlässlich einer soeben abgeschlossenen Missionstour nach Afrika. Die unausgeprochene, aber doch unüberhörbare Botschaft aller Zeugnisse lautet: Wo Harvest Church, da Gott.

Zum Anbetungsteil steht fast das ganze Zelt auf. Viele drängen nach vorn. Die Musik schlägt zuerst andächtig-sanfte, fast kitschig milde Töne an. Die Gemeinde wiegt sich langsam im Takt der sanften Melodien, die meisten Hände gegen den Himmel gereckt. Dann wird der Rhythmus rascher. Leute beginnen heftiger zu tanzen, zu trampeln, aufzuspringen und zu klatschen. Der Holzboden des Zeltes dröhnt und wippt. Vor mir flieht ein bisher schon skeptisch wirkender Besucher kopschüttelnd zum Ausgang. Als Neuling im Zelt hat ihn diese Form der Anbetung sichtlich überfordert. Alle anderen stampfen und wiegen sich bis zum letzten Anbetungston. Ein Mann in den mittleren Jahren bewegt sich kaum mehr im Klang der nun wieder sanfter ausklingenden Anbetung. Aber Tränen rollen über seine Wangen.

Das Knochenfeld des Ezechiel
Die Predigt von Elsbeth Kunz ist erfrischend konfus. Liegt es daran, dass sie, wie sie gleich zu Beginn eingesteht, keine Predigerin sei, sondern nur Mutter, wenn nötig auch Mutter für alle hier Anwesenden? Oder liegt dies daran, dass sie im Flugzeug auf dem Heimflug von Afrika diese Predigt vorbereitete? Der Glaube, der durch ihre Worte durchschimmert, wirkt auf den Aussenstehenden so kindlich wie ihre Einladung zum Muttersein für alle überzogen-anspruchsvoll. Was ist wichtig im Glauben? Worüber spricht man und frau mit Gott? Im Flugzeug sass die Predigerin eingeklemmt zwischen zwei schlafenden Mitreisenden. Da sie deren Schlaf nicht stören will, bittet sie Gott, er möge es verhindern, dass sie die Toilette aufsuchen müsse, solange die Nachbarn noch schlafen. Selbstverständlich erzählt die Predigerin auch, dass sie einem Sitznachbarn, einmal aufgewacht, von Jesus erzählt. Auch in der SBB sei dies möglich und manche junge Christen würden nun von Abteil zu Abteil pilgern, um Mitreisenden von Jesus zu erzählen. Etwas später in ihrer Predigt warnt sie allerdings wieder vor penetranter Mission. Das Leben zählt, nicht das blosse Zeugnis. So munter Reiseeindrücke weitergebend erinnert sie die Predigerin plötzlich an ihren Bibeltext. Eigentlich spricht sie über das Knochenfeld in der Vision des Ezechiel, das durch den Geist zum Leben erweckt wird (Ez 37) . Diese Wende zurück findet sie nach einem offen ausgesprochenen Stossgebet: "Herr hilf mir, dass ich jetzt wieder zur Predigt finde." Diese Bitte, dass kann ich bezeugen, ist erhört worden. Am Ende der Predigt werden wir aufgefordert, die Knochenfelder in unserem Leben zu betrachten und mit den Menschen neben uns nicht nur zu besprechen, sondern über unseren Totengebeinen wie Ezechiel zu weissagen oder den Sieg Gottes über den Tod zu proklamieren. Unsere Totengebeine sind nach Hinweisen der Predigerin Schulden, Arbeitslosigkeit, Prüfungen, Familienkonflikte, Krankheit - kurz, alles, uns zu Boden zieht und lähmt. Gruppenweise stehen wir auf und proklamieren. Proklamieren, das lerne ich nun, ist kein Beten. Wir rufen den Sieg Gottes mitten hinein in unsere Knochenberge und trauen darauf, dass diese Gebeine sich demnächst mit Sehnen und Muskeln überziehen werden. Für mich als Aussenstehenden wirkt dieses Proklamieren wie eine Beschwörung. Ich kann da nicht mitrufen. Ich kann angesichts meiner Knochenfelder mich Gott nur bittend näheren. Dieses Proklamieren wirkt auf mich zwanghaft, fast magisch. Ich kann nicht Ezechiel sein. Ich bin nur ich. Meine Gesprächspartnerin, schon anderthalb Jahre bei Harvest, kann meine Bedenken nicht teilen. Wahrscheinlich hat sie schon einen Kurs in Prophetie besucht. Da lernt man offensichtlich dieses Proklamieren oder Beschwören. Wie eine Beschwörung tönt auch das Motto, dass wir im Chor nacheinander rufen und das uns durch die Arbeitswoche begleiten soll: "Jesus ist in mir und wo immer ich hingehe, ist der Himmel offen über mir." Ein wunderschönes Motto für die kommende Woche. Aber warum muss ich mir dieses Motto eintrichtern lassen? Wovor habe ich Angst? Welche Schatten muss ich in mir beschwören?

Nach dem Gottesdienst wären alle noch zu einem Spaghettiplausch eingeladen. Ich bespreche beim Ausgang noch mit einem Mitleiter das Proklamieren und die Prophetie. Wie lässt sich echte und falsche Prophetie voneinander unterscheiden? Er meint, erst im Gespräch, dann per e-mail auf meine schriftliche Nachfrage hin: "Prophetien sind oft zeitlich offen. Das einfachste und schönste ist, wenn in kurzer Zeit das, was prophetisch ausgesprochen wird, eintrifft. Ein prophetisches Wort, das verunsichert, Angst macht und im Menschen, der es hört, Verwirrung auslöst, kann z.B. aus dem 'Bauch' heraus gekommen sein. Jede Prophetie prüfen wir, ob sie mit dem Wort Gottes übereinstimmt."

Warum - so frage ich mich - ist das, was aus dem Bauch heraus gesprochen ist, verwerflich? Warum kann nur das gelten, was ich in mir als Eingebung des Himmels erlebe? Wer auf einer sog. Sektenberatungsstelle arbeitet, ist all jenen Propheten oder Prophetinnen gegenüber sehr skeptisch, die sich als Himmelsstimme fühlen. Die wahren Propheten, so meine ich, geben heute nicht mehr vor, Propheten zu sein. Sie spüren das rechte Wort zur rechten Zeit in sich und geben dieses Wort weiter, ohne auf irgendwelche Himmelstimmen zu rekurrieren. Wer aber als Prophet oder als Prophetin auftritt in selbstdeklarierter Himmelsnähe, der spricht - so möchte ich meinen - fast hundertprozentig sicher im besseren Fall aus seinem Bauch heraus, im schlimmeren Fall von irgendwelcher wahnhaften Überheblichkeit getrieben. Auch das Proklamieren in der Harvest Church in Winterthur hat mich von dieser skeptischen Beurteilung moderner sog. Prophetie nicht geheilt.

Ein Problem, das im Umfeld der Arbeit von Andi Kunz und seiner Harvest Church schon verschiedentlich auftauchte, wurde im Gottesdienst, den ich besuchte habe, nur ganz am Rande spürbar: Andi Kunz - so der hie und da geäusserte Vorwurf - überziehe seine Rolle als Gemeindeleiter, setze sich selbst zu wenig Grenzen, lasse Bindungen an die Leitung zu, die nachher nicht selten zu herben Enttäuschungen führten. Wenn diese kritischen Hinweise zutreffen, im Gottesdienst im Sennhof fiel mir bloss auf, dass sich Elsbeth Kunz als Mutter - wenn nötig - für alle verstand. Normalerweise sind Gemeindeleiter weder Vater noch Mutter ihrer Gemeinden. Nur in deutlicher sektenhaften Gemeinschaften - zum Beispiel in der Vereinigungskirche - spielen sie Eltern für ihre Gemeinschaft. Ich hoffe, dass das Angebot von Elsbeth Kunz ein einmaliger Versprecher war.

Innensicht und Aussensicht
Ich legte den obenstehenden kurzen Bericht zu meinem Gottesdienstbesuch bei Harvest einem Verantwortungsträger von Harvest vor und erntete so im Wesentlichen an zwei Stellen Widerspruch. Auf der einen Seite kann Hanspeter Weiss selbstverständlich meine magische Deutung des Proklamierens oder Prophezeiens nicht teilen: "Ezechiel war auch nur ein gewöhnlicher Mensch, der aufgrund von Gottes Reden zu den Knochen geweissagt hat. Darin ist überhaupt nichts Beschwörendes oder Magisches, genauso wenig wie als Jesus zu einem Kranken gesagt hat: 'Stehe auf und nimm dein Bett'. Es ist lediglich ein Aussprechen von Gottes Gedanken über einem Umstand."

Als Innensicht der Gemeinschaft kann ich diese Aussage unterschreiben. Als Aussenstehender allerdings muss ich zwischen Jesus und Ezechiel einerseits und meiner Person andrerseits klar unterscheiden. Mich in ihre Schuhe zu stellen wäre für mein Empfinden hybrid. Gerade deshalb wirkt das Proklamieren oder Prophezeien auf mich emiment magisch, weil es sich mit Grenzüberschreitungen verbindet. Magie ist der Versuch, mich einer Kraft zu behändigen und zu bedienen, die sich mir entzieht. Jesus Worte an Lahme und Blinde wären in meinem Mund reine Beschwörung und Magie, sogar dort noch, wo sie überraschende sogar zu einer Heilung führen. Der Umstand, dass Beschwörungen hie und da funktionieren, verändert nicht das Grundkonzept. Ich bin Beschwörer und Magier überall dort, wo ich göttliche Vollmacht für mich in Anspruch nehme. Ich halte mich fern von jeder Glaubensmagie, wo ich um göttliche Vollmacht bitte.

Jüngerschaft und Mutterschaft
Ähnlich verstehe ich den Kommentar von Hans-Peter Weiss zu meiner Kritik an das Angebot von Elsbeth Kunz, für Gemeindeglieder Mutter zu sein: "In der Bibel werden wir aufgerufen, Jüngerschaft zu leben, was soviel heisst, dass jemand einer anderen Person beispielhaft vorlebt (z.B. Paulus: 'Ahmt mein Beispiel nach'.) Elsbeth Kunz' Aussage ist vor diesem Hintergrund zu verstehen und nicht im Zusammenhang von sektenhafter Vater- oder Mutterschaft." Auch diese Sicht kann ich als Innensicht akzeptieren. Als Aussenstehender aber erkenne ich in diesem Angebot eine weitere Grenzüberschreitung. Genau mit dieser Grenzübeschreitung verlässt die Harvest Church das in "normalen" Freikirchen dem Pastor oder Prediger gesetzte Mass. Der "Normalprediger" gleitet nicht in Vater- oder Mutterrollen und gibt dem Gemeindeglied so die Chance, sein Kiind oder sein Kindlein zu sein. Der Sektenprediger und der Guru haben natürlich absolut keine Hemmungen, für ihre Gefolgschaft in alle nur denkbaren Rollen zu schlüpfen. Hauptsache, es verstärkt die Bindung. Der verantwortungsbewusste Kirchenleiter kennt die Gefahr und setzt sich selber Grenzen. Seine Gemeindeglieder sind Kinder Gottes, nicht seine Kinder. Das ist zweierlei und soll auch zweierlei bleiben. Auch wenn es uns schmeicheln würde, wenn sich unsere Gemeindeglieder in kritikloser, kindlicher Zuneigung um uns scharen, wir verzichten auf Jesusrollen und Guruhochgefühle. Wir sind nicht Vater und Mutter unserer Gemeideglieder. Wir sind nur ihre Geschwister. Das genügt.
Georg Schmid, 2004
Letzte Aenderung 2004, © gs 2004, Infostelle 2000
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