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  Die Hare Krishnas heute
Der Zürcher Tempel im Jahr 2000
Auch im Jahr 2000 wird derjenige, welcher die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, im Volksmund Hare Krishnas genannt, in Zürich besuchen will, im angestammten feudalen Domizil an bester Zürcher Adresse empfangen. Obwohl der Erhalt dieser Liegenschaft das Budget der Zürcher Krishnas aufs Aeusserste strapaziert, haben sich Umzugspläne zerschlagen oder stellten sich gar - wie das Gerücht, die ISKCON wolle sich im st. gallischen Sevelen niederlassen - als Medienente heraus. Zur Zeit, so meint Krsna Candra Dasa alias Andy Wolf, seit 13 Jahren Krishnamönch und heute im neunköpfigen Tempelrat des Zürcher Tempels, bestehen keine Zügelabsichten. Die Krishna-Anhänger, die Devotees, fühlen sich offenbar wohl, wo sie sind.

Allerdings wird der Tempel weniger intensiv bewohnt als vor Jahren: Im Moment leben rund 30 Leute im Tempel, gut 20 Brahmacaris, ledige männliche Krishna-Mönche, vier bis fünf Krishna-Nonnen und der eine oder andere "batchelor", ledige Männer, die allerdings aus dem Brahmacari-Stand entlassen wurden und deshalb kein dhoti, kein safran-farbiges Mönchsgewand mehr tragen. Vor zehn Jahren, erinnert sich Krsna Candra, war der Tempel weit belebter. Heute kommt Aktivität ins Gemäuer vor allem dann, wenn Festivals durchgeführt oder für Menschen tamilischer Herkunft Hochzeitsfeiern abgehalten werden. Ansonsten sei es schon sehr ruhig, meint ein anderer Krishna-Mönch.

Novizenkurs
Zweimal jährlich vergrössert sich die Bewohnerschaft allerdings, wenn wieder ein dreimonatiger Novizenkurs angesagt ist. Interessenten und Interessentinnen werden heute nicht mehr wie in den Anfangszeiten von der Strasse weg ins Tempelleben integriert, sie haben eine längere Zeit als Sympathisant und dann den dreimonatigen Kurs zu absolvieren - nach dessen Ende sich jeweils rund die Hälfte der Teilnehmer für ein Leben im Tempel entscheidet. Die anderen kehren ins Alltagsleben zurück. Krsna Candra bestätigt, dass diese neue Vorsicht in der Aufnahme von Tempelbewohnern mit dem hohen Durchlauf zu tun hat, für den die Hare Krishnas bis vor kurzem berühmt waren: Viele Menschen - vor allem junge Männer - zogen aus Liebeskummer oder Lebensfrust Hals über Kopf in den Tempel, verbrachten 14 Tage oder ein paar Monate dort und verliessen die Bewegung dann wieder. Potentielle Aussteiger und Menschen mit Liebeskummer sind heute nicht mehr das Zielpublikum der ISKCON, sondern über einen längeren Zeitraum spirituell suchende Menschen.
Grhastas - Haushälter
Das Leben im Tempel stellt aber, dies die wichtigste Wandlung, die sich bei den Krishnas in den letzten Jahren ergeben hat, keinesfalls mehr eine unerlässliche oder auch nur bevorzugte Lebensform der Krishna-Devotees dar. In letzter Zeit haben viele Brahmacaris den Tempel verlassen und sind sog. grhastas, "Haushälter" geworden. Sie sind verheiratet, ziehen Kinder auf und gehen einem weltlichen Beruf nach, versuchen aber nach den Regeln der ISKCON zu leben: sie chanten die vorgeschriebenen 1728 Mantras täglich und halten sich an die "Vier regulierenden Prizipien": Kein Fleisch, keine Drogen, kein Sex ohne Zeugungsabsicht, kein Glücksspiel. Allerdings räumt Krsna Candra ein, dass die Beachtung dieser Regeln recht unterschiedlich streng ausfällt und bestätigt, dass hierbei vor allem das dritte der vier Prinzipien in Diskussion steht.

Viele grhastas treffen sich einmal wöchentlich in Privatwohnungen zu sog. Bhakti Sanghas, Bhakti-Versammlungen, bei welchen die für die ISKCON wichtigen indischen Schriften studiert werden. Zur Zeit bestehen nach Auskunft von Krsna Candra rund 25 solcher Hauskreise, zu welchen insgesamt rund 150 grhastas zusammen finden. Die grhastas übertreffen die 30 Tempelbewohner an Zahl damit bei weitem. Das Schwergewicht der ISKCON hat sich ganz eindeutig verschoben - die ehemalige Jugendreligion ist in die Jahre gekommen.

Zum Tempel treten die grhastas in Beziehung bei Festivals an heiligen Tagen Indiens und der Krishna-Bewegung - rund 20 Feste werden jährlich gefeiert, was laut Krsna Candra einer der grossen Vorzüge des Hinduismus darstellt - und bei Vorträgen und ähnlichen Veranstaltungen. Daneben spenden die grhastas einen Teil ihres Einkommens dem Tempel.

Finanzen und Organisation des Tempels
Diese Spenden der grhastas machen eine der wesentlichen Einkommensquellen des Tempels aus. Demgegenüber ist der Buchverkauf, welcher bisher wichtig war, in seiner Bedeutung zurückgetreten. Der Skopus beim Buchverkauf liegt hier heute nach Aussage von Krsna Candra mehr auf der Mission als auf dem geschäftlichen Aspekt, weshalb die Umsatzzahlen zurückgegangen sind. Finanziell wichtig sind hingegen die Feste, die die Hare Krishnas für Tamilen durchführen. Weitere Einnahmequellen sind der vegetarische Partyservice, vegetarische Kochkurse und Pilgerreisen durch Indien, die speziell von Krsna Candra angeboten werden. Insgesamt bleibt die finanzielle Lage des Tempels jedoch desolat, so dass heute jeder Tempelbewohner für seine Bedürfnisse seine eigene Kasse führt und dem Tempel abgibt, was möglich ist. Ein Leben aus gemeinsamer Kasse liegt nicht mehr drin.

Geleitet wird der Tempel von einem neunköpfigen Tempelrat, der die Funktion des an anderen Orten üblichen Tempelpräsidenten einnimmt. Fünf der neun Mitglieder werden von grhastas gestellt, darunter finden sich ein Tamile und ein in der Schweiz ansässiger Vertreter der indischen Industriellen-Familie Birla, die in Indien allenthalben Tempel unterstützt.

Gurus
Organisatorisch verantwortlich ist der Tempel der Governing Body Commission (GBC), dem Leitungsgremium der ISKCON weltweit. Aus diesem Gremium ist immer ein Vertreter für ein bestimmtes Land zuständig, für den deutschen Sprachraum war dies über Jahrzehnte Harikesa Swami (ehemals: Visnupada), bis dieser 1998 die ISKCON verliess. Die Schweizer Krishnas erhielten darauf die Möglichkeit, selbst einen Vertreter der GBC als Verantwortlichen zu bestimmen und entschieden sich für Bhakti Tirtha Swami (ehemals: Krishnapada). Der US-Amerikaner Bhakti Tirtha Swami alias John E. Flowers wurde 1950 in einer evangelikalen Familie geboren und war als Kind in evangelistischen Veranstaltungen aktiv. Nach einem Psychologie-Studium schloss er sich 1971 der ISKCON an. Neben seinen Aufgaben als einweihendem Guru und GBC-Mitglied ist Bhakti Tirtha Swami in der Friedensarbeit politisch aktiv, so vor allem in Afrika. Dieses Engagement war für die Schweizer Krishnas bei seiner Wahl ausschlaggebend. Bhakti Tirtha Swami besucht den Zürcher Tempel zweimal jährlich und steht ansonsten über e-mail in Kontakt.

Für den einzelnen Krishna-Devotee ist aber der persönliche Guru wichtiger, den man sich selbst auswählen kann und welcher einen nach einer Wartezeit, mittlerweile wurde diese auf rund acht Jahre verlängert, einweiht. Unter Schweizer Krishnas erfreuen sich besonderer Beliebtheit Sacinandana Swami, ein Deutscher, und Bhakti Caru Swami, ein Inder, der kurz vor Prabhupadas Tod zu den Hare Krishnas stiess. Beide Gurus sind nicht Mitglied des GBC und auch ansonsten nicht organisatorisch tätig, sondern leben als Wandermönche und Wanderlehrer, was nach Aussage von Krsna Candra ihre Beliebtheit bei den Schweizer Krishnas erklärt.

Ein Problem war der Abgang von Harikesa Swami für diejenigen Krishna-Devotees, die diesen als spirituellen Meister angenommen hatten. Manche Betroffenen unterstellten sich seither einem anderen Guru, andere behandelten den Fall analog zur Situation eines verstorbenen Gurus und verzichteten auf die Annahme eines neuen Meisters.

Einbindung in die Gaudiya-Bewegung
Bemerkenswert für die Position des persönlichen einweihenden Gurus in der heutigen Hare-Krishna-Bewegung ist die Tatsache, dass ein Krishna-Devotee bei der Auswahl seines Gurus nicht auf die Kreise der ISKCON beschränkt ist. Vielmehr werden auch nicht zur ISKCON gehördende Meister der Gaudiya-Vaisnava-Bewegung, der Richtung des Hinduismus, aus welcher der Hare-Krishna-Gründer Prabhupada stammte, durchaus anerkannt. So liessen sich zwei Schweizer Devotees durch Nicht-ISKCON-Gaudiya-Gurus einweihen.

Die Betonung der Einbindung der Hare-Krishna-Bewegung ins Umfeld der Gaudiya geht aber über die Guru-Frage hinaus, so werden Gaudiya-Referenten gerne eingeladen und Schrifttum aus der Gaudiya-Bewegung erfreut sich unter Krishna-Devotees zur Zeit höchster Beliebtheit. Mitunter ergibt sich durch die Bezugnahme auf einen Nicht-ISKCON-Gaudiya-Autor auch die Möglichkeit, eine Lehre Prabhupads zu umschiffen.

Andere Ausweitungen der Krishna-Lehren
Die Hinwendung zu Gaudiya-Denkern bleibt aber nicht die einzige lehrmässige Weiterung, die unter Krishna-Devotees zu beobachten ist. Einerseits die Schwerpunktverlagerung weg vom klösterlichen Leben hin zum Dasein als grhasta und andererseits der Abgang von Harikesa Swami, der dem Vernehmen nach besonders auf Lehrreinheit bedacht war, führten dazu, dass viele Devotees die Weltanschauung der ISKCON mit anderen Ansätzen verbinden, etwa mit Hatha Yoga oder mit Ayurveda.

Internationale Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang der Schweizer Devotee Armin Risi, welcher im Rahmen seines dreibändigen Werks "Der multidimensionale Kosmos" in den ersten beiden Folgen noch weitgehend ISCKON-Gedanken vertritt, im dritten Band mit dem Titel "Machtwechsel auf der Erde" das hinduistische Weltbild aber gegen ein theosophisches komplett eintauscht und dieses letztere mit reichlich Verschwörungstheorie anreichert. Dennoch bleibt Risi Krishna-Devotee und wird zu Vorträgen an den Tempel eingeladen - allerdings nicht zu seinem theosophischen Konzept. Dieses ist zumindest Krsna Candra sichtlich ein Graus, verkauft werden im Zürcher Tempel denn auch bloss die ersten beiden Folgen von Risis Reihe.

Aehnlich bekannt wie Risi wurde sein Zürcher Mit-Devotee Ronald Zürrer, dem mit seinem Buch über Reinkarnation gelang, allenthalben als Reinkarnations-Experte wahrgenommen zu werden. Zürrer bleibt aber weitgehend im Rahmen der ISKCON-Vorgaben, auch wenn er sich deshalb mitunter vor einem esoterischen Publikum in die Nesseln setzt.

Rückbesinnung und Askese
Nicht alle Krishna-Devotees sind über diese lehrmässige Offenheit hin zur Esoterik-Szene erfreut. Krsna Candra selbst genügt die hinduistische Philosophie vishnuitischer Prägung. Auch liegt Krsna Candra allzuviel Aktivität in und um den Tempel schlecht. Deshalb zieht er sich öfters zurück, zuletzt ein paar Monate auf den Berg Athos in Griechenland. Aber auch in Indien verfügen Krishna-Devotees aus der Schweiz, die speziell die Einkehr suchen, über Rückzugsmöglichkeiten. Die grossen ISKCON-Tempel in den Grossstädten haben es hingegen Krsna Candra weniger angetan. Hier geht es, wie er sicher zu Recht wahrnimmt, breiten Teilen des Publikums nicht um spirituelle Weiterentwicklung, sondern um konkrete göttliche Hilfe im Hier und Jetzt. Dieselbe Problematik zeigt auch sich bei der Zusammenarbeit der Hare Krishnas mit den Tamilen in der Schweiz.
Zusammenarbeit mit Tamilen
Schon seit Jahren besuchen hinduistische Tamilen in der Schweiz den Hare-Krishna-Tempel in Zürich, obwohl sie zumeist Shaivas sind und damit einer anderen Richtung des Hinduismus angehören. Krsna Candra verweist aber nicht ohne Stolz darauf, dass schon zahlreiche Tamilen in der Schweiz unter dem Einfluss der Hare Krishnas zu Vaishnavas geworden seien. Diesen und auch interessierten Shaivas richten die Hare Krishnas Feste, insbesondere Hochzeiten aus. Und das Angebot wird genutzt, obwohl die Tamilen über einen eigenen Shaiva-Tempel in Adliswil verfügen. Die dort vom zuständigen Priester für Feste in Rechnung gestellten Tarife sind aber dem Vernehmen nach deutlich höher als diejenigen der Hare Krishnas. Daneben ergibt sich eine gewisse Arbeitsteilung: für irdische Anliegen wird der Tempel in Adliswil aufgesucht, spirituell Suchende werden an die Hare Krishnas verwiesen.
Ausblick
Die ISKCON ist, zumindest in der Schweiz, ganz offensichtlich in einer Umbruchphase. Die seit Jahren diskutierte Frage, ob sich die Hare-Krishna-Bewegung wandle, ist beantwortet. Im organisatorischen Bereich hat sich das Gefüge der ISKCON unverkennbar gelockert, die Lücke, die Harikesa Swami hier hinterliess, konnte (und sollte wohl auch) nicht ganz geschlossen werden. Die Einbindung ins weitere Umfeld der Gaudiya-Bewegung ermöglicht als äussere Stütze diese innere Aufweichung mit. Verändert erscheint auch das Leben des einzelnen Mitglieds: die unvermeidlich strenge gegenseitige Kontrolle im Tempel ist der Eigenverantwortung des grhastas gewichen, die auch zu ISKCON-Vorgaben widersprechenden persönlichen Entscheidungen genutzt wird, ohne dass diese zu einem Ausschluss führen würden.

Der eine spirituelle Weg Prabhupads ist einer Vielzahl möglicher ISKCON-Biographien gewichen - vorgegeben durch die Mehrzahl der Gurus mit doch recht unterschiedlichen Schwerpunkten und Lebensformen, und nachgelebt durch die einfachen Devotees: Der Asket Krsna Candra steht hier neben dem Theosophen Armin Risi und dem erfolgreichen Kongress-Redner und Verleger Ronald Zürrer, und alle drei neben Menschen, die den Tempel aufsuchen nicht um spirituell weiterzukommen, sondern um Hilfe bei einem konkreten Problem oder einem Uebergang im Leben zu erhalten.

In all diesen Bereichen haben sich die Gepflogenheiten der ISKCON denjenigen durchschnittlicher religiöser Bewegungen im Westen angenähert.

Noch ganz schüchtern hingegen bleiben die Versuche, problematische Lehren bei Prabhupada zu hinterfragen. Und immer noch können Krishna-Werber auf Missionstour recht aggressiv und dogmatisch auftreten. In diesen Punkten, gerne mit dem Schlagwort "Fundamentalismus" zu bezeichnen, hat die ISKCON noch ein rechtes Stück Wegs zurückzulegen, wenn sie als "normale" religiöse Bewegung im Westen wahrgenommen werden möchte.

Georg Otto Schmid, 2000
Letzte Aenderung 2000, © gos 2000, Infostelle 2000
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