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  Islam und der Westen / Islamismus, Fundamentalismus
  Uebersicht
  Muslime in Europa zwischen Integration und Fundamentalismus
Verbindung von Staat und Religion im Islam
Muhammad war nicht nur Religionsstifter, sondern auch Politiker (und Feldherr). Sein Bemühen richtete sich folglich nicht nur auf die Gewinnung des Seelenheils, sondern auch auf die Organisation einer gottgemässen Gesellschaft. Der Koran regelt deshalb nicht nur religiöse Fragen, sondern auch gesellschaftspolitische. Die Umsetzung dieser politischen Komponente der islamischen Tradition lässt heute durchaus verschiedene Modelle zu, eine islamische Monarchie im Stile Marokkos ebenso wie den islamischen Sozialismus Libyens, die grundsätzliche Einbindung der politischen und gesellschaftlichen Sphäre in die Religion kann aber im Islam jedwelcher Richtung nicht durchtrennt werden. Für Moslems bleibt der islamische Staat Thema und Ziel, wie auch immer dieser dann auszugestalten wäre. 
Der liberale Islam
Die westliche Aufklärung trennt die Bereiche der Religion und des Staates und weist der ersteren den Charakter einer Privatsache zu. Im Christentum konnte diese Trennung weitherum akzeptiert werden, weil sie im Grunde im Neuen Testament bereits vorgegeben ist. Für den Islam bleibt diese Trennung prekär. Dennoch beschreiten durch die Aufklärung geprägte Muslime diesen Weg, müssen damit aber grosse Teile des Korans als heute nicht mehr verbindlich werten.
Der islamische Fundamentalismus: die usuliya
Der islamische Fundamentalismus findet seinen Ursprung in der Gründung der Moslembruderschaft 1928 in Aegypten. Die Fremdbezeichung "Fundamentalismus" hat die Bewegung inzwischen selbst übernommen: als "usuliya" bezieht sie sich auf die "usul", die "Wurzeln" oder "Grundlagen" des Islam. Indem die usuliya die sekundären Rechsquellen des Islam, igma und qiyas verwirft und bloss quran und sunna gelten lässt, weist sie die islamische Tradition nach Muhammad und damit deren vielfältige Anpassungen an gesellschaftliche Realitäten zurück. Einem wie auch immer verweltlichten Islam stellt die usuliya die Zeit der Gemeinde Muhammads als Idealbild gegenüber, das heute unverändert umzusetzen wäre.
Der Islam als der dritte Weg
Für den islamischen Fundamentalismus ist es nicht fraglich, dass der Islam nach dem Scheitern des Kommunismus und dem für Moslems offensichtlichen Zugrundegehen des Kapitalismus der einzig verbleibende Weg ist. Al-Islam huwa al-hall, der Islam ist die Lösung, die Lösung aller Weltprobleme, lautet denn sein Credo. Der Islam gilt als nizam, als weltanschauliches System, das im Grunde alle Fragen löst und alle Probleme bewältigt. Grundlage der politischen Bemühung der usuliya ist die Einheit von Politik und Religion: Al-Islam din wa-daula, der Islam ist Religion und Staat. Oder wie Khomeini es formulierte: "Im Westen ist die Religion nur ein Teil des Lebens. Im Islam ist das Leben nur ein Teil der Religion." Der Islam ist der umgreifende Sinnzusammenhang, der für alle Fragen zuständig ist.
Der fundamentalistische Islam und die westliche Welt
Die usuliya zeigt ein gespaltenes Verhältnis zur westlichen Welt und ihren Errungenschaften. Auf die technischen Erzeugnisse möchte nicht verzichtet werden, die liberalistische Ethik des Westens ist für die usuliya aber unerträglich. Das Wort von Abdul Aziz Ibn Saud ist hierzu bezeichnend: "Wir wollen Europas Gaben, aber nicht seinen Geist". Es ist dies ein "Traum von der halben Moderne" (Bassam Tibi), der die technischen Errungenschaften von den Bedingungen ihrer Entstehung abtrennt.
Der Fundamentalismus zwischen Radikalismus und Pragmatismus
Wo die usuliya aus der Gesellschaft hinausgedrängt wird, pflegt sie sich zu radikalisieren und gar traditionell islamische Staatsmodelle als jahiliya, als Heidentum zu verwerfen und zu bekämpfen. Eine Integration fundamentalistischer Gruppen in Entscheidungsprozesse kann eine Pragmatisierung der usuliya bewirken, die darauf verzichtet, den Ganzheitsanspruch des islamischen Diskurses bei jeder Frage durchzusetzen. Verantwortlich für diese Pragmatisierung dürfte die wirtschaftliche Situation der Anhänger der usuliya sein.
Der Islam in Europa
In Westeuropa leben im Moment einige Millionen Muslime, in Frankreich 3 Mio., in Deutschland 2,2 Mio., in der Schweiz rund 200 000 mit überall klar zunehmender Tendenz.

Vertraten Muslime in Europa zumeist pragmatische und liberale Ansätze, ist in den letzten Jahren ein zunehmender Einfluss des Fundamentalismus festzustellen, der gegen alle Erwartungen insbesondere bei Moslems der zweiten und dritten Generation sich ausbreitet. Die bisherigen Integrationsmodelle, die insbesondere auf den Faktor Zeit setzten, dürfen damit als gescheitert angesehen werden.

Wirtschaftlicher Misserfolg als Hinderungsgrund der Integration
Ein Grund dieses zunehmenden Einflusses dürfte die gegenwärtige Wirtschaftskrise sein, die die Moslems in Europa überproportional stark trifft. Die Erwartungen betreffs wirtschaftlichen Nutzens aus der europäischen Gesellschaftsordnung haben sich damit weitgehend zerschlagen, eine Oppositionshaltung der nunmehr abweisenden Gesellschaft gegenüber liegt damit nahe. Das fundamentalistische Konzept eines islamischen Staates verspricht demgegenüber Arbeit und Brot für alle.
Die Grösse der Diaspora als Integrationshemmnis
Ein weiterer Hinderungsgrund der Integration kann in der Grösse der Diaspora aus einem einzigen islamischen Staat gesehen werden. Insbesondere unter den Türken in Deutschland kann dieses Phänomen recht gut gezeigt werden: Hier ermöglicht deren grosse Anzahl die Gründung eigener Kultur- und Freizeitzentren und eigenethnischer Vereine. Der Sozialkontakt des Einzelnen kann sich so zunehmend auf die eigene Ethnie beschränken, zur Integration besteht eigentlich kein Grund mehr. In der Oppositionshaltung der Gesellschaft gegenüber verbindet sich muslimischer Anspruch mit nationalen Gefühlen. Fernperspektive dieses Phänomens ist die Etablierung einer Parallelgesellschaft.
Das Scheitern von Integrationsprogrammen
In Deutschland muss vielfach die Erfahrung gemacht werden, dass wohlgemeinte Integrationsprogramme insbesondere für das Segment jugendlicher Moslems scheitern. Insbesondere ist hier eine Selbstisolierung moslemischer Jugendlicher zu beobachten. Verantwortlich hierfür ist nicht zuletzt die Tatsache, dass die Integrationsprogramme nicht das bieten, was die Jugendlichen am dringensten bräuchten, nämlich Arbeitsstellen. Dieser Mangel gibt kulturellen Vorbehalten Auftrieb, welche die Integrationsprogramme schliesslich scheitern lassen.
Der kommunitäre Weg
Grossbritannien beschreitet in der Integration andere Wege als etwa Frankreich und Deutschland, insofern den Moslems die Etablierung einer Parallelgesellschaft durchaus zugestanden und auf die Forderung einer kulturellen Integration gänzlich verzichtet wird. Schule und Verwaltung nehmen auf die muslimische Parallelgesellschaft Rücksicht. Trotz dieser sehr weitgehenden Konzessionen löst der kommunitäre Ansatz das Problem im Grunde nicht, da die Forderungen der Muslime in Grossbritannien nun weitergehen: verlangt wird die Anwendung des islamischen Rechts in der muslimischen Parallelgesellschaft, ein Ansinnen, das den Grundsatz der Rechtsgleichheit beenden würde.
Wie integrationsfreudig sind Muslime in der westlichen Gesellschaft?
Die Integrationsfreudigkeit der Muslime in der westlichen Gesellschaft hängt ganz wesentlich mit dem wirtschaftlichen Erfolg des einzelnen Moslems in dieser Gesellschaft zusammen. Während wirtschaftlich erfolgreiche Moslems mehrheitlich pragmatistischen oder gar liberalen Ansichten zuneigen, schliessen sich sozial deklassierte Muslime gehäuft fundamentalistischen Organisationen an und definieren ihr Verhältnis zur Gesellschaft rein negativ.
Georg Otto Schmid, 1998
Letzte Aenderung 1998, © gos 1998, Infostelle 2000
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