Theosophie und Esoterik

Die Theosophie (theosophia = Weisheit Gottes oder Weisheit der Götter, verstanden als das Göttliche im Menschen), aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stammend, ist der Versuch, aus allen Religionen resp. aus der hinter ihnen stehenden tieferen Weisheit eine einzige vereinigende Menschheitsreligion zu schaffen. Verdeutlicht wird dieses Anliegen im Motto der ursprünglichen Theosophischen Gesellschaft: «Keine Religion ist höher als die Wahrheit». Diese Wahrheit hinter allen Religionen soll zusätzlich verbunden werden mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und damit auch skeptischen Menschen zugänglich sein.

Hervorgegangen ist die Theosophie aus der Spiritismus Welle, die nach 1848 insbesondere die USA bewegte. Schon diese war gezeichnet vom Wunsch, religiöse Aussagen, z.B. über die Unsterblichkeit der Seele und das Leben nach dem Tod, mit wissenschaftlichen Methoden überprüfen zu können. Mit Hilfe von technischen Vorrichtungen, aber vor allem auch über menschliche Medien suchten die Spiritisten mit der Totenwelt in Kontakt zu kommen und sich über deren Wesen belehren zu lassen. Als solches spiritistisches Medium, das Durchgaben von jenseitigen Wesen vermittelte, diente auch die Deutschrussin Helena Petrowna Blavatsky, die spätere Gründerin der Theosophie. Blavatsky blieb jedoch nicht bei Aussagen über die Welt der Toten stehen, sondern versuchte, im Kontakt mit ihrem Wahrsagegeist, die Geschichte des Kosmos und der Menschen zu erhellen.

Damit war der Spiritismus überschritten und die Theosophie geboren: 1875 erfolgte die Gründung der Theosophical Society. In der Folge siedelte Blavatsky nach Indien über und nahm zunehmend östliches Gedankengut in ihr Weltbild auf. Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte entwickelte sie so die auch heute noch gültigen Grundanschauungen aller theosophischen Gemeinschaften.

Aus der spiritistischen Erfahrung (und aus europäischer Tradition) stammt die Vorstellung einer Geisterwelt, die sich hinter der sichtbaren körperlichen Welt verbirgt. Diese Geisterwelt wird in der theosophischen Lehre nach Ansätzen der europäischen Esoterik weiter unterteilt. Es ergibt sich ein siebenstufiges Modell, worin die physische Welt die unterste Stufe darstellt. Darüber erheben sich Aether- und Astralebene, die «feinstofflich», das heisst materiell, aber aus einer feineren, geistigeren Form der Materie aufgebaut, gedacht werden. Diese feinstofflichen Welten sind es, die den Körpern von Pflanze und Tier das Leben geben. Hier fliessen Vorstellungen der zeitgenössischen Philosophie ein, die für die Entstehung von Leben eine zur Materie hinzu tretende besondere Kraft, etwa als «elan vital» bezeichnet, postulierten, weil die das Leben ermöglichenden biochemischen Prozesse noch nicht bekannt waren. Über den feinstofflichen Ebenen stehen vier geistige.

Der spiritistische Glaube, dass die Geisterwelt von geistigen Wesen bevölkert ist, wird in der Theosophie mit dem geschilderten Ebenen-Modell verbunden, und zwar unter Zuhilfenahme christlicher Spekulationen über die Engelshierarchien, wonach die Engelswelt über Stufen eingeteilt ist in geistigere, gottnähere Engel und weniger geistige, menschenähnlichere Engel. Die Theosophie fasst diesen Gedanken so, dass die verschiedenen Geistwesen an verschiedenen der genannten Ebenen Anteil haben. So wie der Mensch in der physischen, Aether- und Astral-Welt lebt, so gibt es Wesenheiten, die in Aether-, Astral- und Manas-Ebene existieren (Engel genannt, als unterste Stufe der Engelshierarchie). Darüber stehen von der Astralebene ausgehend die Erzengel. Tier-, Pflanzen- und Mineral- reich werden als unter dem Menschen stehend in dieses Schema eingetragen. Es ergibt sich so eine Hierarchie der Lebewesen, welche mit dem Ebenen-Modell in Übereinstimmung steht.

Mit diesem Ebenen- und Hierarchie-Modell verbindet die Theosophie den Entwicklungs- oder Evolutionsgedanken, der dreissig Jahre zuvor von Charles Darwin formuliert worden war. Dass sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, von einfacheren zu komplexeren Formen, ist auch für die Theosophie nicht fraglich. Allerdings wird dieser Entwicklungsgedanke dem theosophischen Weltbild angepasst: Entwicklung findet auf der materiellen Ebene nicht ihr Ende, sie geht weiter in den geistigen Bereich. Auch Geistwesen entwickeln sich und steigen Stufe um Stufe höher.

Dazu tritt als wesentliches Element der Glaube an Reinkarnation. Übernommen wird dieser allerdings nicht in seiner östlichen Form, welche davon ausgeht, dass sich Seelen in wechselnder Folge als Mensch, Tier, göttliches Wesen, Höllenwesen inkarnieren können. Der Reinkarnationsglaube wird vielmehr mit dem Entwicklungsgedanken verbunden. Die Einzelseele steigt von Leben zu Leben, von Inkarnation zu Inkarnation durch die Stufenleiter der Lebewesen immer höher hinauf. Einen Rückschritt kann es nicht geben, höchstens Stillstand auf derselben Ebene. Ein Mensch kann folglich im nächsten Leben zu einem engelgleichen Wesen werden oder – was weit wahrscheinlicher ist – wieder als Mensch geboren werden, auf die Ebene des Tieres zurückzufallen ist aber nicht möglich.

Geprägt ist dieses theosophische Lehrkonzept von einer pädagogischen Grundstimmung, die für die Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Zeichen von Fortschrittsoptimismus und Kolonialismus typisch war. Sinn des Seins ist es, dazuzulernen und quasi von Klasse zu Klasse höher zu schreiten. Die einzelnen Stufen des theosophischen Modells erscheinen so als Lebensklassen, ist der Lernstoff absolviert, kann zur nächsten Klasse, der nächsten Ebene fortgeschritten werden. Die theosophische Form der Reinkarnationslehre kann so zusammenfassend als monolinear-evolutives, pädagogisches und fortschrittsoptimistisches Reinkarnationsmodell charakterisiert werden. Da der Sinn der Existenz in der Entwicklung liegt, ist ein Ausstieg aus dem Kreislauf der Wiedergeburt, wie ihn östliche Religionen lehren, in der Theosophie nicht nötig und auch nicht mehr vorgesehen.

Wenn das Ziel der Reinkarnation ein pädagogisches ist, die Vorleben aber ganz offensichtlich vergessen werden, muss es einen Träger des Lernfortschrittes ausserhalb des individuellen Bewusstseins geben. Hierzu dient der Gedanke des «Höheren Selbst». Das «Höhere Selbst» umfasst die höheren geistigen Ebenen des Menschen, die dieser ja noch nicht entwickelt hat und die deshalb von ihm noch getrennt sind. Sie inkarnieren nicht mit, sondern bleiben in den geistigen Ebenen und steuern von dort aus die Inkarnationen. Die Betonung des Höheren Selbst ist bei den verschiedenen theosophischen Strömungen recht unterschiedlich, mancherorts, insbesondere in manchen esoterischen Schulen der Gegenwart, kann das Höhere Selbst zu einer Art individuellem Gott werden. Die für mich entscheidende Gottheit bin dann ich selbst (auch wenn sich mein Höheres Selbst natürlich meiner Verfügbarkeit entzieht).

In die Vorstellung vom Höheren Selbst fliessen gnostische Ideen von der Seele als Teil Gottes ein: Zur Evolution hinzu kommt (oder dieser vorangegangen ist – hier denken die verschiedenen theosophischen Richtungen unterschiedlich) die Involution, eine Herabkunft der Seele aus dem Göttlichen in immer materiellere Stufen des Seins hinein, die sich mit den sich entwickelnden unteren Wesens- teilen des Menschen zunehmend verbindet. Die noch unverbundenen Ebenen der Seele bilden das Höhere Selbst.

Die pädagogische und evolutive Ausrichtung der theosophischen Lehre bringt es mit sich, dass theosophische Gemeinschaften entwicklungsförderliches von entwicklungshemmendem Verhalten unterscheiden können. Dabei werden die konkreten Hinweise, was zu tun und zu lassen ist, recht unterschiedlich gefasst. Häufig werden aber genannt der Vegetarismus, Verzicht auf Alkohol und z.T. auf Tabakkonsum und – hier zeigt sich die Herkunft der Theosophie aus dem viktorianischen Zeitalter – eine gewisse Zurückhaltung im Bereich der Sexualität.

Das theosophische Entwicklungsmodell beinhaltet, dass sich nicht alle Menschen auf derselben Entwicklungsstufe befinden. Manche Seelen sind den anderen weit voraus, andere weit zurückgeblieben. Die fortgeschrittenen Seelen, die sich z.T. nicht mehr in einem physischen Körper inkarnieren müssen, können sich getreu der pädagogischen Grundstimmung der Theosophie in den Dienst der noch zurückgebliebenen Seelen stellen, indem sie die Menschen belehren. Als Menschheitslehrer heissen diese fortgeschrittenen Seelen «Meister», sie lehren entweder recht materiell über Briefe (so bei H.P. Blavatsky, wobei sie in Verdacht steht, die ihr zugegangenen Meisterbriefe selbst verfasst zu haben), durch Visionen oder durch verschiedene Formen der Durchgaben. Am häufigsten sind hier das sog. automatische Schreiben – der Meister führt beim Schreiben die Hand des Mediums – und eigentliches Channeling, wobei der Meister durch den Mund des Mediums selbst spricht.

Die Quellen theosophischer Erkenntnis sind also das Lehrgut aus den Religionen und, bevorzugt aus den esoterischen Richtungen der Vergangenheit, die spekulative Verknüpfung und Weiterentwicklung derselben und Offenbarungen durch die Meister. Dazu oder an deren Stelle treten kann die visionäre Schau des Theosophen, so im Fall von Rudolf Steiner. Allerdings sind vor allem die beiden letzteren Quellen theosophischer Erkenntnis zumindest in der Praxis einigen wenigen grossen Gestalten der Theosophie vorbehalten. Der «einfache» Theosoph hält sich an deren Lehren. Erträglich wird diese Ungleichheit durch den Entwicklungsgedanken: Der theosophische Lehrer gilt als fortgeschrittenere Seele, in einem späteren Leben wird man vielleicht auch selbst so weit sein, zu direkter Erkenntnis zu gelangen.

In ihrer Sicht der Geschichte verbindet die Theosophie den Entwicklungsgedanken des Darwinismus mit der Weltzyklen-Vorstellung der östlichen Religionen. Das Resultat ist ein Bild der Geschichte, die durch Zyklen läuft, welche in der Entwicklung stets höher steigen. Das theosophische Geschichtsbild ist also nicht wie das darwinistische einer schrägen Rampe zu vergleichen, sondern einer Treppe mit einzelnen Stufen. Damit werden Epochen, die einzelnen Treppenstufen, wichtig und in Epochenlehren dargestellt. Grösste Einheit sind die planetaren Verkörperungen, wovon es sieben gibt, drei vergangene, eine gegenwärtige und drei zukünftige. Die vergangenen und die zukünftigen planetaren Verkörperungen werden als Welten mit ganz anderer Naturgesetzlichkeit als die heute herrschende dargestellt.

Innerhalb einer planetaren Verkörperung lösen sich sieben Wurzelrassen ab, für die gegenwärtige planetare Verkörperung sind dies die Polarier, die Hyperboreer, die Lemurier, die Atlantier, die Arier und zwei noch kommende. Dabei gehören die heute lebenden Menschen z.T. noch zu den Lemuriern, z.T. zu den Atlantiern, zum Teil schon den Ariern an. Die Wurzelrassen teilen sich in Unterrassen, die gegenwärtige arische Wurzelrasse zerfällt in die indische, die persische, die ägyptisch-chaldäische, die römisch-griechische, die angelsächsisch-germanische und zwei zukünftige Unterrassen. Dabei herrscht in der älteren Theosophie meist die Vorstellung, dass die Spitze der Menschheitsentwicklung immer von der neuesten Wurzel- resp. Unterrasse getragen wird. Moderne Theosophen denken den Entwicklungsfortschritt meist weniger linear.

Diese Vorstellung sich abfolgender und in der Entwicklung stets höher steigender Epochen ermöglicht die Erwartung, dass ein solcher Epochenwechsel unmittelbar bevorsteht oder gar schon im Gange ist. Manche theosophischen Richtungen sind zu diesem Schluss gekommen, vgl. etwa Alice Baileys Erwartung eines Neuen Zeitalters, eines New Age, die für die New-Age-Bewegung entscheidend geworden ist. Einige theosophische Gruppen haben sich in diesem Zusammenhang in eine eigentliche Endzeiterwartung hineingesteigert, so die Church Universal and Triumphant oder die Sonnentempler. Ähnliches gilt für die Ashtar- Command-Bewegung.
 Mit Ausnahme der Wendezeit-Naherwartung finden sich die dargestellten theosophischen Grundlehren in der einen oder anderen Form in fast allen theosophischen Gemeinschaften wieder. Allerdings erfahren sie mancherorts starke Umgestaltungen (s. dazu die Darstellungen zu den einzelnen Gemeinschaften).

Im Ganzen erwies sich das theosophische Weltbild in den vergangenen 125 Jahren als äusserst erfolgreich. Neben den theosophischen Gemeinschaften im engeren Sinne – als solche zu bezeichnen sind die Organisationen und Strömungen, die alle oben dargestellten Lehren in irgendeiner Form vertretenfinden sich Anleihen aus der Theosophie in den meisten esoterischen Richtungen und Gemeinschaften, so vor allem die theosophische Form der Reinkarnationslehre, aber auch die Vorstellung höherer Wesenheiten und Meister. Auf der Theosophie in ihrer I AM- Variante basiert auch die Ashtar-Command-Bewegung, die die Meister durch Ufonen ergänzt. Ferner haben sich manche Neuoffenbarer-Gemeinschaften durch die Theosophie inspirieren lassen, so Gabriele Witteks Universelles Leben oder Uriellas Fiat Lux, wobei hier die theosophischen Lehren aber z.T. ganz erheblich umgeformt werden. Angesichts dieses enormen Einflusses der Theosophie auf die moderne Religiosität muss Helena Petrowna Blavatsky, auch wenn ihre persönliche Integrität nicht über jeden Zweifel erhaben ist, als eine der grossen Gestalten der Religionsgeschichte des 19. Jahrhunderts betrachtet werden.

In der Diskussion zeigt das theosophische Weltbild grosse Chancen, aber auch einige Problemstellungen. Der Versuch, dem verbreiteten Materialismus des 19. Jahrhunderts zu entgehen, ohne die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft ablehnen zu müssen, gelingt für die Entstehungszeit der Theosophie. Die seither gemachten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gehen aber zumeist nicht in die von der Theosophie vermutete Richtung, so dass sich in der Zwischenzeit ein Gegensatz Theosophie-Naturwissenschaft, der bewusst vermieden werden sollte, recht deutlich auf- getan hat. Vgl. hierzu die völlig andere Naturgesetzlichkeit früherer planetarer Verkörperungen bis hin zur Zeit der Atlantier: Hier zeigt sich deutlich, wie sehr die Theosophie auf die naturwissenschaftliche Erkenntnis ihrer Entstehungszeit bezogen ist. Von Urknall, expandierendem Universum und Aktualismus (d.h. die heute geltenden Naturgesetze gelten seit Anbeginn des Universums) war damals nichts bekannt, deshalb bestand Raum für die genannten Spekulationen. Heute widersprechen sie den naturwissenschaftlichen Theorien.

Eine Entwicklungstheorie mit monolinearem Entwicklungsverlauf beinhaltet fast zwingend, dass die Träger der Theorie diejenigen Menschen sind, die der Menschheitsentwicklung vorangehen (ansonsten würde sich die Theorie selbst abwerten). Aus diesem Sachverhalt fliesst die Gefahr eines gewissen Elitarismus:

Der einzelne Theosoph kann sich als fortgeschrittene Seele wahrnehmen, während sein Nachbar, der sich für Theosophie nicht interessiert, eben «noch nicht so weit» ist. Allerdings sind die meisten theosophischen Gemeinschaften genau aus dem genannten Grund wenig missionarisch. Die Menschheit zu bekehren macht keinen Sinn. Sie muss für die Theosophie erst reif werden.

Diese Vorstellung von der Theosophie als der am weitesten entwickelten Weltanschauung in Verbindung mit der Tatsache, dass die Theosophie die Wahrheit hinter allen Religionen umfassen will, macht es theosophischen Gemeinschaften möglich, allen anderen Religionen und Weltanschauungen durchaus einen Wert beizumessen und sie bis zu einem gewissen Grad gelten zu lassen. Ihr Wert ist jedoch im Vergleich mit der Theosophie selbst ein propädeutischer, bloss vorbereitender. Zudem ist es die Theosophie, die entscheidet, welche Elemente anderer Religionen der Wahrheit entsprechen und welche nicht und was mit diesen Elementen eigentlich gemeint ist. Im Dialog weiss der Theosoph deshalb über den Glauben seines Gegenübers im Grunde besser Bescheid als dieser selbst. Hier kann die Theosophie zum Besserwissertum werden, ein Phänomen, das in theosophischem Schrifttum nicht selten begegnet.

Der in den letzten Jahren im Zusammenhang mit theosophischen Lehren am häufigsten diskutierte Vorwurf war derjenige des Rassismus. Der theosophische Entwicklungsgedanke zeigt jedenfalls, so viel wird festgehalten werden müssen, genau wie der gleichzeitige Sozialdarwinismus, eine Tendenz hin zum Rassismus. Diese Tendenz droht immer, wenn eine monolinear konzipierte Entwicklungstheorie ihren Entwicklungsgedanken in die Diskussion der verschiedenen Subspezies («Rassen») der Mensch hinein verlängert. Bei den frühen Theosophen finden sich denn auch aus heutiger Sicht unannehmbar rassistische Aussagen, die für das Empfinden der Theosophen selbst allerdings dadurch gemildert sind, dass die einzelne Menschenseele in ihrer Entwicklung ja durch die verschiedenen Rassen hindurchgeht. Moderne Theosophen wiederholen, mit wenigen Ausnahmen, diese Rassismen nicht resp. korrigieren sie gar. Allerdings ist die Distanzierung von theosophischen Autoritäten bis jetzt ganz vorsichtig geblieben. Und einige wenige theosophische Gruppen, wie etwa die Universale Kirche, bewegen sich in manchen Äusserungen aus ihrer Mitte auch heute noch am Rande des in dieser Frage problematischen Bereichs.

In ihrer Haltung zum Christentum unterscheiden sich die theosophischen Gemeinschaften untereinander ganz erheblich. Während die traditionellen Theosophischen Gesellschaften dem Christentum wenig abgewinnen können und die östliche Tradition klar bevorzugen, nehmen andere Richtungen wie die Anthroposophie und die I AM-Bewegung christliche Lehren und Anschauungen bewusst in ihr Lehrkonzept auf. Es ist aber in jedem Fall ein verändertes Christentum, welches in theosophischen Gemeinschaften angetroffen werden kann. Der Erlösung in Jesus Christus wird die Selbsterlösung des Menschen im Laufe des pädagogischen Entwicklungsganges durch die Inkarnationen entgegengesetzt, eine Selbsterlösung, welche zwar durch Christus ermöglicht, aber nicht unnötig gemacht wird. Hinter der Vielzahl der Geistwesen droht Gott bei manchen theosophischen Richtungen recht eigentlich zu verschwinden, biblische Nennungen Gottes werden gerne auf verschiedene Geistwesen aufgeteilt. Der Umgang mit der Bibel überhaupt ist ein selektiver und meist stark uminterpretierender. Trotz dieser grossen Differenz zwischen Christentum und Theosophie waren theosophische Lehren in der Vergangenheit auch für zahllose bewusst christliche Menschen attraktiv, weil sie den Widerspruch zwischen Glauben und Naturwissenschaft aufzulösen versprachen. Dieser Vorteil der Theosophie ist aber inzwischen zumindest in Teilen weggefallen.

Das ältere Rosenkreuzertum basiert auf den Schriften des lutherischen Theologen Valentin Andreae, der diese einem Christian Rosenkreutz aus dem 14. Jahrhundert zuschreibt. Anliegen der Schriften Andreaes ist die Läuterung des Menschen, dargestellt in der Sprache der Alchemie.

Die heutigen Rosenkreuzer-Gemeinschaften zählen zwar Rosenkreutz und Andreae zu ihren Vorläufern, sind aber aus der theosophischen Tradition herausgewachsen und lehrmässig als theosophische Gemeinschaften anzusprechen. Im Rahmen der Theosophie meint die Selbstbezeichnung als Rosenkreuzer eine Betonung des sog. «westlichen Weges», d.h. der westlichen Esoterik, im Gegensatz zur hohen Bedeutung hinduistischer Lehrelemente innerhalb der Theosophischen Gesellschaften. Allerdings sind die Differenzen zunächst vor allem eine Frage der Terminologie: es geht darum, ob theosophische Lehrelemente mit Sanskrit-Begriffen oder mit westlichem Vokabular bezeichnet werden. (Verzicht auf indische Begrifflichkeit findet sich auch bei andern theosophischen Gemeinschaften, so etwa der Anthroposophie.) Weiter geht das Lectorium Rosicrucianum, das sich vom theosophischen mehrstufigen Entwicklungsmodell ein Stück weit verabschiedet und – auf die Tradition der Gnosis und der Katharer zurückgreifend – bloss zwei Stufen betont.

Da der Begriffswahl «theosophisch» oder «rosenkreuzerisch» insgesamt etwas Zufälliges innewohnt, wären die Rosenkreuzer-Gemeinschaften im Folgenden korrekterweise an ihrem entwicklungsgeschichtlichen Ort innerhalb der theosophischen Bewegung zu diskutieren. Ausser ihrem Namen teilen die Rosenkreuzer gegenüber dem Rest der theosophischen Bewegung keinerlei Gemeinsamkeit. Allerdings stellen sich die Angehörigen der verschiedenen Rosenkreuzer-Gemeinschaften gegenüber Aussenstehenden alle gleichermassen als «Rosenkreuzer» vor. Die sachlich ansonsten kaum gerechtfertigte gesonderte Behandlung der Rosenkreuzer soll hier die Zuordnung erleichtern.

Die Esoterik hat (abgeleitet von griechisch «esoteros», «innerlich») zum Ziel, die Innenseite des Wirklichen zu erfahren (s. dazu den untenstehenden Text zur Esoterik). Esoterische Gemeinschaften präsentieren im Allgemeinen eine Lehre, die sich aus verschiedenen Quellen speist und deshalb gerne mit dem Begriff «synkretistisch» (vermischend) bezeichnet wird. Eine dieser Quellen ist aber fast immer die Theosophie, die bei vielen esoterischen Gemeinschaften das Grundraster abgibt, in welches weitere Elemente eingetragen werden. Soziologisch prägend wurde Bhagwan/Osho – zahlreiche Esoterik-Anbieter sind ehemalige Schüler Bhagwans. Eine Auswahl esoterischer resp. «synkretistischer» Gemeinschaften wird unten dargestellt.

 

Mit der Esoterik verbunden, aber doch von ihr zu unterscheiden ist die New-Age-Bewegung, deren Anliegen ein neues, friedlicheres, ökologischeres und spirituelleres Zeitalter ist. New-Age-Gemeinschaften sind meist von einer grossen weltanschaulichen Offenheit resp. einem Pluralismus gekennzeichnet. Verbindend wirkt das gemeinsame Ziel, weniger eine gemeinsame Dogmatik.

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