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Lectorium Rosicrucianum

Internationale Schule des Goldenen Rosenkreuzes

 

 

Die Initianten zur Gründung des Lectorium Rosicrucianum sind die Brüder Z.Wim Leene (*1892) und Jan Leene (Jan van Rijckenborgh) (*1896).

Sie traten im Mai 1924 in die Rosicrucian Fellowship (Rosenkreuzer-Gemeinschaft) von Max Heindel (1865-1919) ein, deren Studienzentrum in Amsterdam in den zwanziger Jahren von Agatha von Warendorp geschaffen worden war.

1926 organisierte sich in Haarlem eine Studiengruppe der Rosicrucian Fellowship, die 1931 den Status eines Studienzentrums erhielt und zu der auch die Brüder Leene gehörten. Ab 1927 wurde von der Gemeinschaft in Haarlem die Monatszeitschrift "Het Rozekruis" (Das Rosenkreuz) herausgegeben. Man gründete dafür einen eigenen Verlag mit Versandbuchhandel, dessen Leitung den Brüdern Leene unterstand.

Am 24. Dezember 1930 trat Henriette Stok-Huizer (Catharose de Petri) (*1902) in die Gemeinschaft ein.

Auch wenn das Gründungsjahr für das Lectorium Rosicrucianum von interner Seite auf 1915, 1924, 1925 oder 1935 datiert wird, löste sich die Schule nach einer längeren Entfremdungsphase, die 1919 mit dem Tod Heindels begann, erst 1935/36 von der Rosicucian Fellowship, als die Schule die Form einer Kirchengemeinschaft als juristische Person erhielt. Noch 1938 führte man aber u.a. die alten Namen "Rozekruisers Genootschap" (= Rosenkreuzer-Genossenschaft) und "Max Heindel Stichting" (Max Heindel Stiftung).

Die neue Schule stand seit 1933 ganz unter der Leitung der Gebrüder Leene.

Im März 1938 starb Z.W. Leene. Die neue Leitung der Gemeinschaft bildeten sein Bruder J. Leene und H. Stok-Huizer.

Während des 2. Weltkrieges wirkte die Schule im Geheimen. Nach Beendigung des Krieges begann eine starke Expansion, angefangen mit dem 1946 erschienenen Buch von Rijckenborgh "Dei Gloria Intacta", in welchem die Basis für die Lehren des modernen Lectorium Rosicrucianum gelegt wurden. Während vorher Astrologie und Kosmologie eine grosse Rolle spielten, wurden neu Transfiguration, Seelen-Wiedergeburt und Gnostisches Christentum in den Mittelpunkt der Lehre gerückt.

Der Name Lectorium Rosicrucianum wurde ebenfalls erst nach dem 2. Weltkrieg, nach mehreren Namenswechseln (Manichäerorden (1936), Jakob-Böhme-Gesellschaft (1941)), angenommen.

Seit 1949 ist die Schule auch im deutschsprachigen Raum tätig, zuerst unter dem Namen NITS (Neue Internationale Transfiguristische Schule) in Frankfurt, dann unter der Bezeichnung "Internationale Schule des Goldenen Rosenkreuzes".

1951 fand die Einweihung des ersten Tempels des Lectorium Rosicrucianum, genannt der Renova-Tempel, in Bilthoven, Niederlande, statt. Am 30. März 1957 wurde der Grundstein des heutigen Haupttempels in Haarlem gelegt. Es folgten weitere Tempel, wie das Christian-Rosenkreuz-Heim in Calw, Süddeutschland (Einweihung am 8. März. 1958), der Jan van Rijckenborgh-Tempel in Bad Münder, Norddeutschland (Einweihung am 21. August 1965) und das Foyer Catharose de Petri in Caux, Schweiz (Einweihung am 9. September 1978). Kongressorte fanden sich bald in der gesamten Welt. Die Gemeinschaft unterhält eigene Schulen (v.a. in der Niederlande) und einen eigenen Verlag - mit Druckerei und Buchhandlung - namens De Rozekruis Pers in Haarlem, der die Schriften von Jan van Rijckenborgh, Catharose de Petri und anderer Rosenkreuzer/innen (z.B. Antoine Gadal) herausgibt.

Am 17.7.1968 starb Jan van Rijckenborgh. Die Leitung des Lectoriums fiel zunächst an Rijckenborghs Sohn Henk Leene. Bei der Zusammenkunft der internationalen spirituellen Leitung der Gemeinschaft 1969 wurde Henk Leene aber der Ausübung schwarzmagischer Techniken beschuldigt. Darauf trat H. Leene aus der Schule aus und gründete nach den Lehren seines Vaters die Gemeinschaft R+C "Rosae Crucis". Die Leitung des Lectorium Rosicrucianum ging an Els Hamelin-Leene (Rijckenborghs Tochter) und dann an Catharose de Petri über. Diese behielt die Führung der Gemeinschaft bis zu ihrem Tod, 1990. Seitdem liegt die Leitung des Lectorium Rosicrucianum in den Händen eines internationalen 13köpfigen Gremiums.

 

1996 umfasste das Lectorium Rosicrucianum nach eigenen Angaben (Begriffserklärungen der Philosophie des Lectorium Rosicrucianum, Presse-Dossier für Medienfachleute und weitere Interessierte, Caux, 1996, S. 21) weltweit etwa 15000 aktive Mitglieder in 70 Ländern, davon rund 1000 in der Schweiz, 4000 in Deutschland und 200 in Österreich.

 

Kurzüberblick über einige Hauptgedanken der Lehre

Auch wenn sich Rijckenborgh auf das Rosenkreuzertum des 17. Jh. beruft, hat die Lehre des Lectorium Rosicrucianum mit dem klassischen Rosenkreuzertum kaum etwas zu tun.

Das Lectorium Rosicrucianum will eine christliche Mysterienschule sein und verbindet dazu gnostisches, astrologisches, theosophisches, anthroposophisches und traditionell christliches Gedankengut. Es vertritt eine weltablehende, kosmozentrische Grundhaltung. Vor allem die kosmozentrische Haltung unterscheidet das Lectorium Rosicrucianum von christlichen Gemeinschaften. Jesus Christus ist im Lectorium Rosicrucianum als "kosmischer Sonnengeist" ein Teil des Gott-Geistes, der sich auf der Welt inkarniert hat, um den Menschen die wahre Erlösungslehre zu überbringen.

Der Kosmos ist zweigeteilt in eine gute, göttliche (statische) Welt, die sich durch solche Heilsgestalten für den Menschen bemerkbar macht, und eine schlechte, irdische, polare (dialektische) Welt, in der die Menschen leben und in der das Allein-Gute nicht existieren kann (da das Gute in der dialektischen Welt als Gegenpol immer das Böse mit sich trägt). Der Mensch ist aber nicht gänzlich Teil jener materiellen Welt, sondern er trägt einen Funken des göttlichen Lebensprinzips in sich, dem das Lectorium Rosicrucianum verschiedene Namen gibt, u.a. Geistfunkenatom, Uratom, Rose des Herzens, Samenkorn Jesu, Kleinod der Mysterien, Juwel im Lotos, um nur einige zu nennen. Die Aufgabe des Menschen ist es nun, diesen göttlichen Teil in sich zu befreien und damit von der irdischen Ordnung in die göttliche zu wechseln. Dazu ist aber eine "fundamentale Umkehr" oder eben "Wiedergeburt" notwendig. Das Lectorium Rosicrucianum nennt diese Umkehr "Transfiguration". Diese Transfiguration wird durch das sogenannte "Endura" (gemeint ist hier damit "Selbstübergabe an die göttliche Welt") erreicht. Damit ist die Aufgebung des Ichs gemeint und ein Übergehen in das göttliche Selbst, wo der Kreislauf Tod - Leben überwunden ist. Dies wird einerseits durch Verzicht auf Alkoholika, Fleisch, Tragen von Pelz, Nikotin, Drogen, Fernsehen, politische Betätigungen, durch massvolles Leben, andererseits durch das Erkennen der zwei Welten und das Anstreben der göttlichen Ordnung durch Selbstübergabe an das Christusprinzip erreicht, wobei die regelmässige Teilnahme an Tempeldiensten und Konferenzen hilft. Das Lectorium Rosicrucianum geht desweiteren davon aus, dass sich unsere heutige Welt am Beginn des Wassermann-Zeitalters befindet, das - wenn richtig genutzt - die Möglickeit einer Befreiung aus der stofflichen Welt mit sich bringt, wenn es aber nicht richtig genutzt wird, Gesetzlosigkeit, Anarchie und Destruktion aus sich gebiert.

 

Aufbau des Lectorium Rosicrucianum

Das Lectorium Rosicrucianum ist hierarchisch aufgebaut. Passivmitgliedschaft ist nicht möglich. Der Weg ist unterteilt in ein zweiteiliges Schülertum und eine fünffache stufenweise Erhebung des Mitgliedes, welche sich an den fünffachen gnostischen Weg der Befreiung anlehne: Einsicht - Heilbegehren - Selbstübergabe - Neue Lebenshaltung - Eingang in einen neuen Lebenszustand.

Die sieben Stufen/ Grade sind:

1. Vorbereitendes Schülertum und Probeschülertum

2. Bekennendes Schülertum

3. Höhere Bewusstseinsschule

4. Ekklesia

5. Gemeinschaft des goldenen Hauptes

6. Rat der Ältesten

7. Grossmeister/in

Die Grade 3-7 bilden die sogenannte "innere Schule". Bei der Erreichung jedes neuen Grades kommt zu den bisherigen Aufgaben eine neue spirituelle Aufgabe hinzu.

 

 

Inkohärenz der Lehre

Die Lehre des Lectorium Rosicrucianum ist ein komplex aufgebautes und schwierig zu erfassendes Gebäude. Dies liegt einerseits daran, dass für ein Lehrelement eine verwirrende Vielzahl von Begriffen verwendet wird. Begriffe wechseln von Publikation zu Publikation. So ist das Geistfunkenatom - wie oben schon erwähnt - je nach Werk das Uratom, die Rose des Herzens, die Rosenknospe, das Samenkorn Jesu, die Perle von grossem Wert, das letzte göttliche Übrigbleibsel, das Kleinod der Mysterien oder das Juwel im Lotos.

Andererseits ergeben sich Verständnisschwierigkeiten, weil die Lehre in sich nicht kohärent ist, was sicher zum Teil daran liegt, dass sie sich während er letzten fünfzig Jahre ständig verändert hat. Dies soll kurz am Beispiel der Transfiguration, einem der Hauptpunkte der Lehre, dargestellt werden. V.a. in den Werken aus den 60er und 70er Jahren wird die Transfiguration unter anderem mit biologischen Komponenten verbunden: So sitzt z.B. das Geistfunkenatom am höchsten Punkt der rechten Herzkammer des Menschen. Die Transfiguration beginnt nun mit der Erweckung jenes Geistfunkenatoms. Dadurch gelangt die Lichtkraft des Atoms ins Blut und durchflutet so via Blutbahnen den ganzen Menschen. Im Gehirn erweckt das Lichtenergie-Blut Gedankenwesen, die ebenfalls aus Lichtkraft bestehen. Diese Lichtkraftgedanken verfeinern die Atomstruktur des Menschen und ermöglichen so eine (scheinbar rein biologische) Überwindung des Todes.

Heute werden diese Ideen vom Lectorium vorsichtiger behandelt. Transfiguration wird heute lieber als spirituelle Übergabe an das Gott-Geist-Prinzip und/oder als Überwindung der dialektischen Weltordnung gesehen, was beides ebenfalls in den Werken Rijckenborghs und de Petris zu finden ist. Dabei gibt es wieder verschiedene Theorien, wie dies genau geschehen soll und vor allem, wie nun der Mensch in der Praxis dabei mitwirken kann.

Konsequent wäre wohl eine Verabschiedung der heute nicht mehr vertretenen Lehrideen, was aber nicht stattfindet. Im Gegenteil, Werke aus den 60er/70er Jahren erscheinen in Neuauflagen und tragen nicht zur Klärung der Lehre bei.

Das Lectorium umgeht diese Problematik, indem es alle Bücher, einschliesslich der eigenen Literatur, nur als Mittel zum Zweck und immer nur einen - mehr oder weniger grossen - Teil der ewigen Wahrheit beinhaltend, betrachtet. Aus Sicht des Lectorium sind solche Unklarheiten in der Lehre keine Widersprüche, sondern alles Teilaspekte der wahren Lehre, die zusammen ein Ganzes (und somit natürlich diese "wahre Lehre") ergeben.

 

Einige kritische Anfragen

Heute nicht mehr zeitgemäss wirkt die stark asketische Lebenshaltung der Gemeinschaft, die aus einer Verbindung von niederländischem Puritanismus und viktorianischen Moralvorstellungen, welche über theosophisches Gedankengut eingeflossen sind, entstanden ist. Gewisse Verbote der Schule, z.B. das Pelztrageverbot sind heute, wenn auch aus anderen Gründen, zwar durchaus nachvollziehbar, trotzdem bleibt die Frage, ob solche Verbote, v.a. ein Fernsehverbot im Internet- und Medienzeitalter, den Menschen nicht zu sehr einschränken. Aus heutiger Sicht sollte jeder Mensch selber entscheiden dürfen, was er konsumieren oder in seiner Freizeit unternehmen will und dies nicht durch eine Gemeinschaft vorgeschrieben bekommen. Auch die rigorosen Moralvorstellungen der Schule dienen sicher nicht der Freiheit des Menschen.

Eine weitere Frage ist, ob die dualistische Vorstellung von einer schlechten materiellen und einer guten, göttlichen Ordnung nicht bei gewissen Vertretern/innen der Lehre in Weltflucht ausarten könnte, da eine solche Weltauffassung die Gefahr in sich birgt, sich lieber einer "höheren Sphäre" zuzuwenden statt aktiv in der Welt zu leben und an ihren Geschehnissen teilzunehmen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist das überheblich wirkende Selbstverständnis des Lectorium Rosicrucianum. Die Schule sieht sich als Vertreterin einer uralten, universellen Bruderschaft des Rosenkreuzes, die seit frühester Zeit existiere. Von dieser Lichtgemeinde seien alle grossen und weisen Menschen ausgegangen, um für die gefallene Menschheit zu wirken. Das Lectorium sei von dieser Bruderschaft ins Leben gerufen worden und besitze deshalb alles Wissen, was über Gott, die Natur und die Menschheit gesagt werden könne. Die Auserwählten fänden den Weg zu dieser Bruderschaft (über das Lectorium) leicht, der grossen Menge aber bleibe er (und somit natürlich die Wahrheit) verborgen.

Diese Lehre beinhaltet einerseits die Gefahr einer Vergöttlichung der Gründerfiguren des Lectorium Rosicrucianum, denn jene sind wie auch Buddha, Sokrates, Christus, etc. von der universellen Bruderschaft auf die Erde gesandt worden, um der Menschheit zur Rettung zu verhelfen.

Andererseits führt eine solche Lehre unweigerlich in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bestehend aus den wahren Auserwählten (= Mitglieder des Lectorium Rosicrucianum) und der restlichen Welt, wobei sich die Frage stellt, was mit den nicht-erwählten Menschen geschieht. Eine solch elitäre Lehre kann sehr schnell intolerant jenen gegenüber werden, die sich für einen anderen Weg als den der Schule entscheiden, vor allem, wenn festgestellt wird, dass diese Menschen nicht mehr "errettbar" sind. Sie widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen und ist einer toleranten Haltung Mitmenschen und deren eigenen Vorstellungen gegenüber nicht sehr förderlich.

 

Fazit:

Durch die Verbote, Moralvorstellungen, das Selbstverständnis der Schule, aber auch durch die Lehre von den zwei Weltordnungen und der Transfiguration erhalten Schüler/innen des Lectorium eine eigene Weltanschauung, die leicht in Weltflucht, Intoleranz und Überheblichkeit ausarten kann und aus heutiger Sicht sicher mit einigen Fragezeichen versehen werden muss.

Anna-K. Höpflinger, 2000


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