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  NAK Neuapostolische Kirche
  Uebersicht
  "Haltet euch an das Gesetz Gottes, dann wird es euch gut gehen!"
Eindrücke von einer neuapostolischen Trauung
Es ist ein regnerischer Sommertag, an welchem der Schreibende sich zur Neuapostolischen Kirche begibt, wo ein junges neuapostolisches Paar den Bund fürs Leben schliessen wird. Das Auffinden der Liegenschaft der Neuapostolischen Kirche wird erleichtert durch die Präsenz eines grossen Reisecars vor dem Gebäude, welcher einen schönen Teil der lokalen Gemeinde des Bräutigams hierher zur Gemeinde der Braut beförderte. Das Paar hat sich nämlich nicht in der lokalen Gemeinde, sondern im Rahmen eines Jugendlagers der Neuapostolen kennengelernt.

Beim Eintritt in das Kirchengebäude fällt der Blick auf ein gleich beim Eingang angebrachtes Schema mit den "Segensträgern" der Gemeinschaft, das vom Stammapostel über den Bezirksapostel bis zum lokalen Hirten die ganze für die örtliche Gemeinde relevante Hierarchie aufzählt. Die Verbundenheit mit der Hierarchie, soviel wird dem Eintretenden gleich klargemacht, ist hier äusserst wichtig.

Mit den aufliegenden Broschüren wohlversorgt begibt sich der Schreibende in den Gottesdienstraum. Obwohl der Saal bereits beinahe voll ist, ertönt kein Laut. Die ganze Gemeinde verharrt in absoluter Stille, die einerseits beklemmend wirkt, andererseits die Erwartung eines Mysteriums in sich trägt: Hier befindet sich der vor dem Gottesdienst unbefangen plaudernde Landeskirchler offensichtlich auf fremdem Boden. Was wird kommen? Orgelspiel und Einzug des Brautpaares tragen dann allerdings äusserst konventionelle Züge.

Das einleitende Gebet nimmt Bezug auf die Hierarchie der "Segensträger", die in ihrem Vertreter, dem Prediger, heute anwesend ist und die Gültigkeit des Gottesdienstes garantiert.

Für die Gemeindelieder wurde der Schreibende mit einem Gesangbuch ohne Noten versorgt, was seiner Sangesfreude deutlichen Abbruch tut. Ein Blick nach links und rechts zeigt ihm, dass der erfahrene Neuapostole sein individuelles Gesangbuch besitzt, zumeist in Goldschnitt gehalten, welches dann dem Text die Melodie beigibt.

Der Prediger, der nun das Wort ergreift, spricht aus dem Stegreif. Er mag viele Gaben haben, diese eine fehlt ihm. Die rhetorische Unbeholfenheit, mit welcher er seine Ausführungen vorträgt, der Plauderton, in welchem er von Gedanke zu Gedanke fortschreitet, wie sie ihm eben in den Sinn kommen, ergibt eine Spannung zu den Erwartungen, die die liturgische Stille vor dem Beginn des Gottesdienstes geweckt hat.

Inhaltlich wird eines klar, welches der Prediger nicht müde wird zu wiederholen: Im Grunde ist das Christentum ganz einfach. Was Jesus Christus uns Menschen gebracht hat, ist das Gesetz Gottes, Richtlinien, wie wir Christen uns im Alltag zu verhalten haben. Achten wir dieses Gesetz und kommen ihm nach, so wird es uns gut gehen. Und wenn es uns mal nicht gut geht, stellt dieses eine Prüfung unserer Gesetzestreue dar.

In der Ansprache ans Brautpaar, durch einen Instrumentalteil von der Predigt getrennt, wird die Aussage vom Gesetz Gottes auf die Situation der Ehe angewendet. Wenn das Ehepaar sich auch fürderhin an die Gesetze Gottes hält, wird die Ehe wohlgelingen. Daneben werden allgemeinmenschliche Erkenntnisse von der Wichtigkeit der Kommunikation in der Ehe angeführt. Die das Eheversprechen bestätigenden zwei mal zwei Buchstaben seitens des Brautpaares stellen den einzigen Text des Gottesdienstes dar, der nicht vom Prediger gesprochen wird.

Für die Vornahme des eigentlichen Trauaktes vergewissert sich der Prediger seiner Verbindung zu den "Segensträgern", und betont, dass es diese Verbindung ist, die ihm die Kraft zur Spendung der Trauung gibt. Das Brautpaar wird so im Grunde vom Stammapostel selbst getraut, für den der Prediger der Vertreter ist.

Der anwesende Chor, aus dem Schreibenden unbekannten Gründen nie als solcher, sondern als "die Sänger" bezeichnet, bestätigt den Trauakt mit einem Lied. Der Chor hat, soviel wird klar, als er sich das erste Mal erhebt, einen Drittel der Plätze der Gemeinde eingenommen. Die Fülle des Raumes ist mithin eine wohlorganisierte.

Im Schlusswort meint der Prediger, damit der Einschätzung des Schreibenden betreffs der Stimmung des Gottesdienstes unfreiwillig beipflichtend: "Dadermit wäri de Truur... äh... die Trauig am End". Hoffentlich glaubt niemand im Publikum, insonderheit das Brautpaar und dessen Angehörige, an schlechte Omina.

Mit äusserst gespaltenen Eindrücken verlässt der Schreibende den Ort des Gottesdienstes und tritt hinaus in den Regen.

Anfragen
Der Neuapostolischen Kirche gelingt es, dies der positive Eindruck, das Bild einer Familie zu vermitteln, wo sich der eine für den anderen interessiert, ihm beisteht, und gegebenenfalls für ihn sorgt. Die Trauung eines jungen Paares ist ein Ereignis, das die ganze lokale Gemeinde bewegt. Das Gefühl des Getragenseins durch die Gemeinde kann für das junge Ehepaar durchaus eine Stütze sein.

Stilistisch ist der Traugottesdienst das konservativste, was der Schreibende auf diesem Bereich je gesehen hat. Die Neuapostolen sind in diesem Bereich Kirche in einem traditionellsten Sinne, wie sich keine Landes- oder Freikirche mehr getrauen würde, Kirche zu sein. Da gibt es keinerlei Einbezug von Gemeindegliedern oder Angehörigen in die Gestaltung des Gottesdienstes. Was gegeben wird, ist eine One-man-Show herkömmlichsten Zuschnitts. Nicht mal das Trauversprechen geben sich die Eheleute gegenseitig, der Prediger spricht vor, das Ehepaar bestätigt.

Jegliche Bezugnahme auf das Ehepaar, dessen Biographie, dessen Berufe und Hobbies unterbleibt. Sowohl Predigt als auch Trauansprache entbehren so jeden persönlichen Touchs. Die ganze Veranstaltung ist eine 08/15-Trauung, die bei jedem Traupaar genau gleich, ja textidentisch durchgeführt werden kann.

Es ergibt sich so der Eindruck eines: Man macht es so, wie man es immer getan hat, und wie man es immer tun wird. Für Veränderungen bleibt da kein Raum.

Und weiter wird das Gefühl vermittelt: Für Individuelles ist bei den Neuapostolen kein Platz. Das Brautpaar ist interessant, insofern es jetzt die Rolle eines neuapostolischen Ehepaares übernimmt. Was das Paar im einzelnen bewegt, was es tut und lässt, tritt zurück hinter dieser Rolle, ja ist angesichts der heilsentscheidenden Bedeutung derselben eigentlich egal.

Nur aus diesem Rollen- oder Amtsverständnis heraus ist zu erklären, dass offenbar niemand an der eklatanten Unbeholfenheit und der offensichtlich mangelnden Vorbereitung des Predigers Anstoss nimmt. Für den Aussenstehenden ist die Kombination aus zur Gänze fehlender Professionalität und immensem heilsgeschichtlichen Anspruch ein Aergernis. Wenn jemand schon Vertreter des Vertreters Christi auf Erden sein will, dürfte er sich etwas mehr Mühe geben, denkt der Nicht-Neuapostole. Für den Neuapostolen ist dies kein Widerspruch, sondern das zweite macht das erste erst möglich. Weil der Prediger ohnehin Vertreter des Vertreters Christi auf Erden ist, sind seine Aussagen und Handlungen von Relevanz, auch wenn er sich gar nicht vorbereitet oder gar eine Predigt lang denselben Satz wiederholen würde. Der Prediger ist Prediger, weil der die Rolle seines Amtes aus den Händen der "Segensträger" empfangen hat. Und die Verbindung zu diesen garantiert die Wirksamkeit seines Amtes, nicht seine vorhandenen oder fehlenden individuellen Fähigkeiten.

Die Bezugnahme auf die "Segensträger", die Hierarchie der Neuapostolen, kommt so grundlegende Bedeutung zu. Insofern überrascht nicht, dass sich der Prediger an herausragenden Stellen seiner Verbindung zu den "Segensträgern" vergewissert. Diese Verbindung ist das Entscheidende, nicht etwa das theologische Wissen des Predigers. Die Neuapostolen zeigen sich so als zutiefst hierarchische Gemeinschaft, insofern es die Hierarchie ist, die Wahrheit vermittelt, und nicht etwa intellektuelles Ringen um das Verständnis der Bibel etwa.

So wird auch die sehr einfach strukturierte Theologie erklärbar, die der Prediger präsentiert: Gott gibt Gesetze, und an diese hat man sich zu halten. Dass damit aus der Erlösungsreligion Christentum eine Gesetzesreligion geworden ist und hinter die neutestamentliche Verkündigung zurück zum Alten Testament gegangen wird, tut nichts zur Sache. Verbundenheit mit der Hierarchie und Halten der Gebote, das ist es, was von Gott belohnt wird. Die Freiheit des Evangeliums versinkt im Paragraphendschungel der Gesetzlichkeit. Wofür Jesus Christus dann gestorben ist, diese Frage bleibt hier allerdings offen.

Georg Otto Schmid, 1997
Letzte Aenderung 1997, © gos 1997, Infostelle 2000
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