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  Das Ende der Aufklärung
Wie werden Akademiker Sektenopfer?
Gebildete Hörigkeit
Wer die radikalen weltanschaulichen und religiösen Gemeinschaften der Gegenwart, die "Sekten", studiert, ist immer wieder betroffen von der grossen Zahl an Akademikern und sogenannt gebildeten Leuten unter den Anhängern der radikalsten Meister und Medien. Wie können aufgeklärte Menschen in die Fänge eines Gurus geraten? Sind Aufklärung und Bildung wirklich die beste Sektenprophylaxe, oder sind sie unter Umständen nicht geradezu Wegbereiter sektenhafter Hörigkeit?
Die Leidenschaft der Aufklärung
Aufklärung war und ist, manchmal zögernd und verhalten, manchmal lauthals fordernd und gegen alle Bastionen der Unmündigkeit anstürmend, der Wille zur mündigen, selbst verantworteten Existenz. Um diesem Willen so weit wie nur irgend möglich nachzuleben, fordert und pflegt der möglichst aufgeklärte Geist die Eigenständigkeit des Denkens. Er akzeptiert in allen Lebensbereichen nur, was ihm einleuchtet. Er will politisch, religiös, moralisch und ästhetisch zu seinem eigenen Urteil finden. Die Autonomie seines Denkens verbindet sich mit dem Willen, keinen Gedanken unbefragt einfach zu übernehmen. Dieser Wille zum eigenen Urteil und zur Mündigkeit des Denkens war und ist - so darf man mit Fug und Recht sagen - die entscheidende Basis für eine moderne Demokratie und Kultur. Die moderne Persönlichkeit, das moderne Individuum wären ohne diese leidenschaftlich geforderte und angestrebte Mündigkeit gar nicht zu denken. Das moderne Indidividuum ist eine Produkt dieser Liebe zum eigenen Urteil. Und wer möchte im Ernst wieder zurück in die alten Systeme von Gott legitimierter Herren und williger Untertanen? Wer einmal vom Geist der Aufklärung angesteckt wurde, kann so leicht auf seinen Willen zum eigenen Urteil nicht mehr verzichten. Es muss etwas Einschneidendes geschehen, wenn aus aufgeklärten oder halbwegs aufgeklärten Zeitgenossen plörzlich hörige und blinde Nachbeter irgendeines Gurus oder selbsternannten Orkales oder Propheten werden.
Die Mündigkeit des Denkens und die Unmündigkeit des Empfindes
Der Student, der Mittelschüler und der Akademiker ist dort ein leichtes Opfer für totalitäre Gruppierungen aller Art, wo er sich in seinem Denken möglichst autonom gibt, aber gleichzeitig in seinen Empfindungen völlig von seiner Umgebung abhängig ist. Die Unabhängikeit der Reflexion verbindet sich gerade bei Akademikern oft mit einer spürbaren Verletzlichkeit der inneren Befindlichkeit. Wie ein Geistesriese und emotionaler Zwerg steht das spätere Sektenopfer in dieser vorerst gedanklich durchschaubaren und berechenbaren Welt. Er als Nachbeter irgendwelcher Guruweisheiten? Als opferwilliger Schüler irgendeines machthungrigen Meisters? Mit Entrüstung weist der intellektuell geschulte Zeitgenosse diesen Verdacht von sich. Wenn irgend jemand souverän und eigenständig kritisch denken und leben kann und will, dann er. Hochmut - sagt das Sprchwort - kommt vor dem Fall. Plötzlich ist die eigene Welt und Existenz alles andere als durchsichtig, organisierbar und berechenbar. Eine Beziehungskrise mag der Auslöser sein, eine Sinnkrise folgt schrecklich unmittelbar. Berufliche Unsicherheiten setzen weitere dunkle Akzente ins jetzt so düstere Weltbild. Das ganze Kartenhaus der stolzen, intellektuellen Mündigkeit fällt innert Stunden oder Tagen in sich zusammen. Zurück bleibt eine Verzweiflung, die keinen Namen mehr kennt. Denn solche Abgründe an Gefühlen lernte der Gebildete nie zu benennen. Diese Abgründe waren in seiner aufgeklärten Sicht des Lebens schlicht und einfach nicht vorgesehen. Der vorher so selbstsicher mündige Akademiker liegt als einladendes Opfer für alle autoritätshungrigen Meister im Sumpf eines nun pötzlich entsetzlich weglosen Lebens.
Die Krisenanfälligkeit des einsamen Kritikers
Bildung, die nur in der Kritikfähigkeit des eigenen Denkens Mündigkeit sucht, führt in eine Einsamkeit, die ideale Voraussetzungen schafft für die anschliessende totale Vereinnahmung durch eine sektenhafte Gruppierung. Wenn ich meine Autonomie nur leben kann in der Eigenständigkeit meines Denkens, muss ich mich dauernd in meinen Gedanken von anderen abheben. Ich muss mir und an deren beweisen, dass ich überall anders denke. Dieser Beweis ist bei ein wenig eigener Kritikfähigkeit leicht zu erbringen. Ich stelle bei jedem Gedanken anderer fest, dass ich noch Tieferes und Besseres erkennen könnte. Diese für mich schmeichelnde Erkenntnis treibt mich aber bald einmal weiter in die Erfahrung, dass sich zwischen meinem Denken und dem Denken der anderen fast unüberbrückbare Gräben auftun. Ich denke radikal anders als die anderen. Das heisst aber auch: Ich werde laufend missverstanden. Die anderen können mich gar nicht verstehen. Ich fühle mich ständig unverstanden, gerade weil ich so eigenständig denke. Niemand versteht mich, ausser ich mich selbst. Die Einsamkeit der nur kritisch autonomen Persönlichkeit verdrängte alle menschlichen Bedürfnisse nach wortlosem Verstandensein und unreflektierter Gemeinschaft so lange, bis der Hunger nach unreflektierter Einheit alle Postulate der einseitigen Bildung vergisst. Plötzlich wird die einseitig mündige Persönlichkeit von ihrer eigenen Seele weggeschwemmt und der vorher penetrant kritische Student küsst die Füsse eines Meisters.
Oshos Empfehlung
Einmal - am 21.Mai 1974 - fragte ein Schüler seinen Meister Osho Rajneesh, der sich damals noch Bhagwan nennen liess, aber der immer ein Guru der Gebildeten war: "Sollen wir allem, was der Meister sagt, wortwörtlich folgen oder gibt es Situationen, in denen wir unserem eigenen Rat folgen sollten?" Dem Jünger, der fragte, ob er seinem Meister kritiklos folgen solle, wurde unter anderem folgende Antwort gegeben: "Man sollte entweder total folgen oder überhaupt nicht. Da darf es keinen Kompromiss geben... Wenn ihr euch also hingebt, dann gebt euch total hin. Dann braucht ihr selbst nicht mehr nachzudenken. Ihr könnt blind folgen. Ich betone das wort blind - denn es ist, als hättet ihr keine Augen und jemand, der Augen hat, führt euch. Dann könnt ihr eine ungeteilte Einheit bleiben. Ein unaufgespaltenes, integriertes Wesen erwächst." Osho kennt wie kein zweiter die psychische Verfassung des gescheiterten Akademikers. Niemand ist so persönlichkeitsmüde wie er. Niemand hat das ganze Individuum spielen und aufgeklärt Leben so bis zur bittern Neige ausgekostet. Wenn er sich nicht schämen würde, würde der emotional gestrandete Akademiker jedem nachlaufen, der ihn vom Zwang zum eigenverantwortlichen Leben und Denken befreit. 
Die Schande der Hörigkeit
Nur diese Scham, diese anerzogene Abneigung gegenüber allem Nachäffen hält ihn noch von der kritiklosen Nachfolge zurück. Osho gelingt es besser als anderen Meistern, den gestrandeten Akademiker auch noch von dieser Scham zu befreien. Osho bietet die totale Hörigkeit mit soviel Ehrlichkeit und Charme als Antwort auf alle Lebensfragen an, dass auch der ansonsten irgendwo immer noch der Mündigkeit verpflichtete Akademiker aufhört, sich zu schämen. Im übrigen ist Osho der Meister des überraschenden Widerspruchs. Was er das eine Mal als blinden Gehorsam verkauft, preist er ein anderes Mal als Weg zur totalen Freiheit. Diese 180 Grad-Wende des Gedankenganges leuchtet nur dem Aussenstehenden nicht ein. Osho ist selbst ja das Nichts, das personifizierte Nirvana und damit ein reines leeres Spiegelbild, in dem der blind gehorsame Schüler sein eigenes wahres Wesen erkennt. Wer Osho blind folgt, folgt damit dem eigenen Selbst. Er ist - so besehen - gerade in seiner Hörigkeit zum ersten Mal wirklich sich selbst.
Andere Meister, weniger dialektisch als Osho, befreien den hörigen Akademiker von der Schande kritikloser Nachfolge, indem sie sich als Spitze wissenschaftlicher Erkenntns präsentieren. Alle Erkenntnisse aller Religionen und Wissenschaften fliessen in das Werk von L. Ron Hubbard, in seine Scientology, ein. Wieder andere sehen sich als Kristallisationspunkte aller religiösen Traditionen. Was immer an gottnaher Erkenntnis Menschen bewegte, sammelt sich in Reverend Moon und seiner Vereinigungskirche. Die Scham des Akademikers, sich blind gehorsam führen zu lassen, lässt sich auch mit scheinbar akademischen Argumenten aus der Welt schaffen. Die Wissenschaft zeigt, dass sich totale Hingabe an diesen Meister aufdrängt.
Das Abenteuer der gebildeten Hörigkeit
Wie immer wir aber diese Osho-Dialektik einschätzen, die Faszination der gebildeten Hörigkeit hat kaum einer so klar erkannt wie Rajneesh. Wer bisher als Kopfmensch sein Leben meisterte und gerade deshalb gründlich scheiterte, will sich nun gerne ein Stück weit kopflos durchs Leben schleppen lassen. Wichtig ist nur, dass auch diese totale Hörigkeit und Kopflosigkeit sich mit An schein tiefster philosophischer und mystischer Bildung umgibt. Es war Osho ein Leichtes, diesen Anschein aufrechtzuerhalten. Der Gebildete will sein bisheriges Bildungsideal auf gediegene Weise verraten. Osho schenkt ihm dazu die Möglichkeit.
Die Einheit, die Osho dem gescheiterten Individuum als Erlebnis verspricht, öffnet sich nur dem, der seine Kritikfähigkeit opfert. Die mystische Einheit der Gruppe mit dem Meister gleicht der Einheit des Embryos mit seiner Mutter. Das werdende Kind weiss noch kaum um seine eigene Identität. Es schwimmt im noch kaum getrübten Wohlgefühl. Genau dieses vorgeburtliche Einssein sucht der emotional unsichere persönlichkeitsmüde Akademiker. In diesem Wohlgefühl ist Reflexion überflüssig und Kritik kann nur stören. Denke nicht, erlebe, heisst hier das Motto. Und wenn er sich ehrlich fragt - wann hat die früher ständig kritisch reflektierende Persönlichkeit wirklich gelebt? Ein gewaltiger Erlebnishunger bricht in ihm auf. Ein Wirbel von Gefühlen treibt ihn in immer neue Erfahrung. Wer den Kopf dem Meister abgibt, beginnt zu leben. Wie ein Strom brechen bisher verdrängte Empfindungen aus dem ehemaligen Kopfmenschen heraus.
Denken und Empfinden
Das Phänomen der gebildeten Hörigkeit stellt unsere Bildunskonzepte und Bildungsideale in Frage. Wenn wir Autonomie und Mündigkeit derart einseitig mit Kritikfähigkeit und Unabhängigkeit des Denkens verbinden, darf es uns nicht verwundern, wenn immer wieder gebildete Zeitgenossen irgendwelchen Gurus blind nachfolgen. Autonomie und Mündigkeit darf nicht nur durch die Schulung des kritischen Denkens angestrebt werden. Emotionale Sicherheit, das intuitive Wissen um die eigene Identität ist für den Aufbau einer reifen Person ebenso wesentlich wie die Schulung kritischer Reflexion. Die religiöse Erziehung kann, wenn sie den kleinen und jungen Menschen wirklich berührt, ihrerseits dieser reiferen Identität dienen. Reife Christen sind weder Kopfmenschen noch kopflose Fans. Sie verbinden Denken und Empfinden. Und genau diese Verbindung fehlt manchem Akademiker, der in den Krisen seines Lebens eine leichte Beute totalitärer Gruppierungen wird. 
Das Dogma der souveränen Vernunft
Kann ich mit kritischer Reflexion allein mein Leben durchstehen? Den Wert der Kritikfähigkeit für Gesellschaft und Kirche ist unbestritten. Blinde Hörigkeit und christlicher Glaube gehen nur in den dunkelsten Zeiten des Glaubens willige Verbindungen ein. Ebenso schwer tut sich der Glaube aber auch mit der Annahme, kritisches Denken allein könne Existenz und Welt gestalten. Die nur kritisch Vernünftigen sind in schwierigen Lebenslagen extrem sektenanfällig. Die einseitige Aufklärung wird zur Wegbereiterin der blinden Hörigkeit.
Georg Schmid, 1996
Letzte Aenderung 1996, © gs 1996, Infostelle 2000
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