www.relinfo.ch

 
  STA Siebenten-Tags-Adventisten
  Uebersicht
  Sind die Adventisten eine Sekte?
aus: Leben und Glauben Nr. 12, 19. März 1998 (ergänzte Fassung)
Frage
Unser Pfarrer behauptet, die Siebenten-Tags-Adventisten seien keine Sekte mehr, sie seien zur Freikirche geworden. Ich frage mich, wenn dies zutrifft, wie kann eine Sekte plötzlich zur Freikirche werden?

M.F. in Z.

Antwort
Liebe Frau F., ich kann nicht so grundsätzlich, beinah apodiktisch, zwischen Kirchen und Sekten unterscheiden. Was sind Sekten? Sekten sind Kirchen, die sich selbst überschätzen, die den Willen Gottes an ihren eigenen Willen binden, die sich vorstellen, dass der Himmel eine einzigartige Verbindung zu ihrer eigenen Kirchen-Leitung eingerichtet hat, die sich aus dieser direkten Verbindung zwischen Himmel und Erde der eigenen Organistation gegenüber möglichst totale Kritiklosigkeit verschreiben, und die - weil der Himmel sich ausschliesslich oder doch vornehmlich mit ihnen verbindet - auch auf ökumenische Begegnungen verzichten können. Kirchen mit ausgeprägter Sektentendenzen können und wollen von anderen Kirchen nichts lernen. Sie sprechen mit anderen nur, um die anderen zur eigenen Wahrheit zu bekehren oder um ihre Wahrheit klarer darzulegen und sich von den Irrtümern der anderen deutlicher abzugrenzen. Kirche im eigentlichen Sinn des Wortes ist für mein Emfpinden eine christliche Gemeinschaft, die ihre eigene Irrtumsfähigkeit sehr wohl kennt, die sich selbst gegenüber, der eigenen Lehre und Organisation, die allseits nötige Vorsicht walten lässt und die in ihrem Mangel an eigener Unfehlbarkeit gerne mit anderen Kirchen spricht und mit ihnen und von ihnen lernt.

Ist die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten (STA) nun im angesprochenen Sinn mehr eine Kirche oder mehr eine Sekte? Ellen G.White, die prägende Gestalt aus der Gründungszeit der STA geniesst - wenn ich richtig sehe - in ihren Schriften und Erkenntnissen innerhalb der STA noch den Ruf einer einzigartigen Prophetin. Ihre Visionen und ihre Gedanken wurden nach STA-Ueberzeugung von Gott in spezieller Weise geleitet. An der gesunden Vorsicht gegenüber dem Werk von Frau White fehlt es innerhalb der STA noch an vielen Stellen. Dabei wäre Vorsicht angezeigt. Die Prophetin hat, wie sich unschwer erkennen lässt, in ihrem ausgedehnten Werk ohne Quellenangabe Werke anderer Autoren paraphrasiert oder umgeschrieben. Ein grosser Teil dessen, was sie schreibt, ist ihr offensichtlich nicht direkt von Gott eingeben, wie es viele STA-Mitglieder gerne angenommen haben.

Unbestritten war Frau White eine religiös bedeutsame Gestalt. Nach der grossen Enttäuschung Tausender von Amerikanern über die nicht stattgefundene Wiederkunft Christi am 22.Oktober 1844 - von einem William Miller so vorausberechnet - heraus gewann sie mit Gleichgesinnten zusammen die Ueberzeugung, dass am 22.Oktober 1844 Jesus zwar nicht die Reinigung der Erde, aber die des Himmels begonnen habe und dass es nun gelte, durch intensivere Studien der Schrift und einem diesen Studien enstprechenden gottgemässeren Leben die Erde auf ihre letzten Tage vorzubereiten. Dieses engagiertere Studium führte die Gruppe u.a. zur Erkenntnis, dass Gott die wahrhaft Gläubigen zur Feier des Sabbats und zur Einhaltung verschiedener Speisevorschriften führen wolle. Frau White "judaisierte" mit ihren Freunden das Christentum. D.h. sie glich ihr Christentum ein wenig - in wahlweiser Beachtung alttestamentlicher Vorschriften - dem Judentum an. All dies schenkte zusammen mit ihrem Engagement und ihrem Sendungssbewusstsein ihrer Bewegung nicht nur das religiöse Profil, sondern auch den offenkundigen zahlenmässigen Erfolg. Die STA expandierten mit zahlreichen Schulen, Sozialwerken, eigenen Zeitungen und Radiostationen über die halbe Erde. Dieser Erfolg erübrigte fürs erste jeden Anflug von Bescheidenheit und jede Annäherung an andere Kirchen.

In der westlichen Welt wurde und wird der Boden auch für die STA härter. Schwierigkeiten zwingen nicht nur die STA, sondern alle Kirchen, zum Umdenken. Die Gemeinschaft der STA hat sich in ihrer Hauptrichtung in letzter Zeit offenkundig dem Gespräch mit anderen Kirchen geöffnet und in ihren Grundsätzen auch das Christsein in anderen Kirchen anerkannt. Während aber das Christsein in allen anderen Kirchen in der Sicht der STA dauernd vom grossen Abfall bedroht oder gar geprägt ist, ist die Gemeinschaft der STA in ihren eigenen Augen das Volk Gottes der Endzeit geblieben, das unverfälscht die göttliche Gerichts- und Heilsbotschaft der Welt vermittelt. Diese Selbsteinschätzung macht Gespräche mit anderen Kirchen zwar möglich und sinnvoll. Von einer eigentlichen ökumenischen Oeffnung der STA können wir aber noch kaum sprechen. Auf alle Fälle werden gegenüber dieser Annäherung an die anderen Kirchen von Seiten des Präsidenten Robert S. Folkenberg immer wieder auch Warnungen laut. Es gehe nicht darum, im Gespräch mit anderen irgendetwas von anderen zu übernehmen. Wie könnten die STA-Leitung von anderen irgendetwas lernen, solange sie sich so ungebrochen im Besitz der reinen Wahrheit fühlt? Andere, vor allem europäische STA-Mitglieder haben aber offenkundig weniger Berührungsängste und öffnen sich gerne der Begegnung mit anderen Kirchen. Kurz - es bewegt sich einiges innerhalb der Gemeinschaft der STA. Wohin der Weg führt, lässt sich erst undeutlich erkennen. Aber wenn andere sich auf uns zu bewegen, wollen wir uns nicht in alter Unbelehrbarkeit hinter dem Vorwurf "Sekte" verschanzen. Sekte hin, Sekte her - wer bereit ist zur Begegnung, dem schlagen wir sie nicht aus.

Georg Schmid, 1998
Letzte Aenderung 1998, © L&G 1998, Infostelle 2000
zurück zum Seitenanfang