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  Johanna Thuillard
  Uebersicht
  Esoterische Therapien
Eine kritische Anfrage
aus: Informationsblatt Nr. 1/96

Esoterische Therapieformen stossen heute vielseitig auf Begeisterung. Wir hören an unserer Orientierungsstelle aber von Menschen, die in schwierigen Lebenslagen Hilfe suchen und dann in einer Art abhängig werden, dass sie keine eigene Entscheide mehr fällen und sich Ratschläge nicht nur in banalen Belangen, sondern auch für allerintimste Fragen diktieren lassen. Die Ansprüche der TherapeutInnen liegen oft höher, als nur zu einem besseren Körpergefühl und zu tieferem Verständnis seiner selbst zu verhelfen.

Ich sprach mit einer Frau, deren Kindertraum es war, Ärztin zu werden. Johanna Thuillard lernte Röntgenassistentin und studierte dann an "Universitäten", wie sie es nennt, auf der ganzen Welt: Ein Zen-Lehrer hat sie "geschmiedet", Medizinmänner Indiens und Afrikas und Hopi-Indianer haben sie geprägt. Heute praktiziert sie in Zürich und im Tessin Entspannungsmassage, Shiatsu, Energieausgleich, Reflexzonenmassage und Meditation.

Aufgefallen sind mir Widersprüche in ihrer Argumentation. Aus meinem Vorhaben, über sie "berichten" zu wollen, hörte sie das Wort "richten" heraus. Sie erinnert sich an solche, die ihres Glaubens wegen gemartert wurden. Diese Aussage tut genau das, wogegen sie sich vorgeblich wehrt: Sie verurteilt - und zwar vorab! - allenfalls folgende Kritik als Inquisition. Auch wenn Johanna Thuillard sich gegen das Schubladisieren von Menschen ausspricht, wie das in der gängigen Astrologie praktiziert werde, schubladisiert sie gerade damit selbst: das "Leben im Medizinrad", auf das sie setzt, ist gut, die Astrologie und das Konsumdenken anderer Esoteriker schlecht. Dabei wird übrigens das Grundsätzliche, nämlich der Wahrheitsgehalt entsprechender esoterischer Lehren, nicht hinterfragt. Als ihr z.B. jemand begegnete, der erfahren hat, dass er von den Pleijaden stammt, hält sie nicht dieses "Wissen" für fragwürdig, sondern den Umgang damit, die momentane Nützlichkeit solchen "Wissens".

Auch die überkommenen Religionen unterliegen offensichtlich nicht ihrem Pauschalisierungsverbot, wenn sie sagt: "Da uns ja eigentlich die sog. Religionslehren eine Lebensschule bieten sollen, die dann zur Unterdrückung, Machtausübung und Einengung geführt hat, denn die Dogmen der Religionssysteme haben unsere Wahrnehmung eingeschränkt, und so sind wir ja jetzt zu diesen Ausbildungen und Schulen gekommen." (Das Beispiel zeigt neben der Widersprüchlichkeit auch ein weiteres Problem der Verständigung: die sprachliche Inkohärenz. Dazu kommt das Ausweichen bei gewissen Fragen, etwa der, wieviele Leute insgesamt ihre Therapien besuchen. Sie fragt zurück, ob das wichtig sei und beantwortet die Frage nicht.)

Aus den erwähnten Urteilen über andere spricht auch Selbstüberschätzung, wie sie bei vielen Esoterik-Anbietern zu beobachen ist. Die Überschätzung zwar nicht ihrer Person, aber doch eines möglichen Lebesziels gipfelt in der Definition des Heilers, die Frau Thuillard von ihrem tibetischen Meister empfangen hat: "Ein Heiler darf sich erst Heiler nennen, wenn er in einer solchen Übersicht und unterscheidenden Weisheit sein kann, wo er alle karmischen Verstrickungen erkennen kann und auch, ob in diesem Plan auch eine Heilung eingebettet ist."

Sie selbst würde den Titel Heilerin nicht für sich in Anspruch nehmen. Doch hält sie es für möglich, dass ein Mensch perfekt, göttlich werden kann. Jesus und andere hätten das vorgemacht. Ich halte es für eine grenzenlose Überschätzung menschlicher Möglichkeit und Vernachlässigung unserer Bedingtheit, die geradewegs totalitär werden kann.

Der Mensch habe "die Kraft, eigener Schöpfer zu sein, einen eigenen freien Willen zu haben". So könne jeder "fähig sein, seine Gnade der Befreiung augenblicklich anzunehmen... Für mich braucht es nur diese Qualität, in die tiefste Demutshaltung des Annehmens gehen zu können." Ihre eigene Stellung sieht Johanna Thuillard als die gleiche, wie sie sie beim Medizinmann erlebt hat: "Er hat es aus seinem Innersten heraus getan und sich diesem Wesen als Kanal hingegeben und ihm alles überlassen, was er annehmen kann oder nicht." Nun gab es Fälle, wo sie Hilfe ablehnte. Nicht, weil sie an Grenzen solch heilsmittelnder Fähigkeiten stiess, sondern sie verweigerte sozusagen ein Zeichen: "Das sind Menschen, die sensationelle Sachen von mir fordern, die mich in Versuchung bringen wollen, dass ich ihnen Beweise bringe." Und: "Grenzen? Grenzen gibt es eigentlich nicht. Wir begrenzen uns selber, und was heisst das: Wenn ich an eine Grenze des Nichthelfens komme? Für mich gibt es in diesem Sinne keine Grenzen, den anderen den höchsten Kräften übergeben zu können."

Die verbreitete Esoterik-"Philosophie", die davon ausgeht, dass jeder sein Schicksal und sein Leiden selbst gebaut hat, ist in vielen Fällen geradezu zynisch. Da gilt z.B. das Motto, dass jeder den Partner hat, den er oder sie verdient und dass körperliche, erst recht psychische Schmerzen selbst "erschaffen" sind. Kann sich nun jemand nicht davon befreien, führt das manchmal in letzter Konsequenz zur Verzweiflung. Wer als Ausweg aus der Misere nur die Arbeit an sich selbst predigt, diskreditiert damit konkrete äussere Veränderungsmöglichkeiten und legitimiert überdies die für das Elend verantwortlichen Menschen oder sozialen Umstände.

Vor unserem Gespräch schon stellte Johanna Thuillard in Frage, dass man über jemanden berichten kann, mit dem man nicht 1000 Meilen gegangen ist. Nun habe ich ja einerseits nicht den absurden Anspruch, jeden Winkel ihrer Person auszuleuchten und hier zu dokumentieren, anderseits kann ich, wie andere das ebenso könnten, aufgrund mir bekannter Parallelen Vergleiche und Schlüsse ziehen. Mit ihrem Einspruch sichert sie sich vorweg ab: Allfällige Kritik kann nachher als Unverständnis abgetan werden.

Von esoterischer Seite wird überhaupt häufig erklärt, man könne nur über sie sprechen, wenn man selbst einschlägige Erfahrungen gemacht hat. Es wird also unterstellt, dass sich nur über Erfahrungen sprechen und nachdenken lässt, die man selbst gemacht hat. Wäre dem so, so wäre letztlich jede Kommunikation unmöglich. Erfahrungen können nämlich nicht "an sich" ausgetauscht werden, sie müssen in Worte gefasst werden. Tut man dies nicht, so ist auch jede Kommunikation verhindert, selbst EsoterikerInnen untereinander blieben einsam und wüssten voneinander keineswegs, ob sie überhaupt die gleichen Erfahrungen gemacht haben.

Um über etwas nachdenken zu können, z.B. einen Traum, muss ich ihn erst gedanklich, also sprachlich fassen und so "vor mich bringen", ihn zum Objekt machen; ich kann ihn sogar aufschreiben oder ihn jemandem erzählen. Das gedankliche Fassen ist aber bereits eine Interpretation, ein Einordnen in den Zusammenhang meiner bisherigen Kenntnisse und Denkmuster. Ich kann dann weitergehend versuchen, den Traum zu deuten, ich kann ihn z.B. als Botschaft meines Unbewussten interpretieren oder gar als göttliche Eingebung. Das sind aber Deutungen, die ich vornehme, das ist bereits nicht mehr die Erfahrung an sich. Und solche Deutung kann prinzipiell genausogut jemand vornehmen - oder auch ablehnen! -, der den Traum nicht geträumt hat, der vielleicht nie träumt (er hat dann höchstens keinen existentiellen Antrieb dazu). Wir können nicht unmittelbar Erfahrungen austauschen; was wir in Worte fassen, ist immer schon Interpretation; über diese aber kann auch reflektieren, wer die Erfahrung selbst nicht gemacht hat.

Therese Graf, 1996
Letzte Aenderung 1996, © tg 1996, Infostelle 2000
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