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  NAK Neuapostolische Kirche
  Uebersicht
  Würdevoll und pathetisch
Bemerkungen zum NAK-Gottesdienst 2007
Feierlich würdig
Wer mit Gottesdiensten neocharismatischer Freikirchen vertraut ist, der begegnet als Gast in einem Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche (NAK) fast zwangsläufig einem eigenartigen liturgischen Formalismus. Das heisst aber nicht, dass es der NAK-Gemeinschaft an Herzlichkeit mangelt. Ich erlebe bei Besuchen in der neuapostolischen Kirche in unserer Wohngemeinde in Rüti viel Herzlichkeit und Entgegenkommen dem Gast gegenüber, der zum ersten Mal oder nur sporadisch die Gottesdienste besucht. Diese Freundlichkeit gilt sicher nicht nur dem Mitarbeiter der Informationsstelle Kirchen-Sekten-Religionen gegenüber, der in unserem Dorf nicht unerkannt bleibt. Diese Gastfreundschaft geht so weit, dass ich auch schon zur Teilnahme am Abendmahl aufgefordert wurde. Auch die Gespräche unter den Gemeindegliedern vor und nach dem Gottesdienst zeugen von einem munteren, gegenseitigen Vertraut-Sein der Gemeinschaft, das sich durchaus mit der Familienstimmung in anderen minoritären christlichen Gruppierungen vergleichen lässt. Kurz - formalistische Kälte ist nicht die Grundstimmung der NAK-Gottesdienste.
Wohl aber könnte der mit Gottesdiensten in anderen christlichen Gemeinschaften vertraute Beobachter von einer strengen Feierlichkeit sprechen. Während manche freikirchlichen Feiern augenfällig herzliche Heiterkeit und ansteckende Fröhlichkeit mit ernsthafter Verkündigung verbinden, und während landeskirchliche Feiern hie und da sogar Humor mit Momenten meditativer Sammlung verbinden, fehlt dieser liturgischer Charme, der aus der Verbindung konträrer Stimmungen herauswächst, in den NAK-Gottesdiensten wahrscheinlich noch weitgehend. Jedenfalls führt auch die Lektüre der in der NAK-Zeitschrift „Die Familie“ publizierten Predigten der wichtigsten Amtsträger zu diesem Schluss. Die allesamt männlichen Amtsträger, alle dunkel gekleidet und vorn in der Kirche sitzend, strahlen als die Diener Gottes und als Glieder in einer ausgeprägten religiösen Hierarchie das eine mal feierliche, das andere mal nur ernste Würde aus. Verkündigung im Jeanslook, möglichst „locker vom Hocker“, manchmal fast kumpelhaft nahe bei ihrem Publikum, und andrerseits doch wieder durchdrungen vom Ernst biblischer Weisungen, wie wir sie vor allem im evangelikalen Raum häufig antreffen, liegen den kleinen und grossen schwarz gekleideten Amtsträgern der NAK nicht. Das verwundert umso mehr, als die Predigten der Amtsträger in der NAK alle direkt vorgetragen und nicht von Manuskripten abgelesen werden. Müsste nicht bei soviel direkter Kommunikation und spontaner Rede ein gutes Quantum an lockerer Herzlichkeit vom Redner auf die gläubige Gemeinschaft überspringen?
Die Würde des Amtes
Dass dies kaum geschieht, liegt einerseits am erwähnten ausgeprägten Amtsbewusstsein der Diener am Altar, das sicher auch einem Bedürfnis nach gottgewollter Hierarchie auf Seiten der Gläubigen entspricht. Während vor allem evangelische Kirchen und Gemeinschaften möglichst flache Hierarchien pflegen, entwickelte die NAK eine ausgeprägte Rangordnung kirchlicher Ämter, deutlich hierarchisch strukturiert. Alle „Macht“, wenn von kirchlicher „Macht“ überhaupt gesprochen werden soll, geht vom Stammapostel aus, der zwar im Gespräch mit seinen Apostelkollegen die Kirche leitet, der aber eigentlich nur Gott gegenüber verantwortlich ist. Die Autorität des Stammapostels geht soweit, dass er sogar seinen eigenen Nachfolger bestimmen kann. Dieses ausgeprägt hierarchische Grundmuster der NAK schlägt sich durch bis auf die unteren Stufen der Amtsträger. Wer in einem heiligen Amt steht, verspielt seine Würfe nicht in kumpelhafter Spontaneität und jovialer Herzlichkeit.
Heftiger Bestätigung und vehementes Beten
Immer noch werden - wie dies schon A. Bertallo auffiel - mit einem vehementen kollektiven „Amen“ die Predigten der einzelnen Amtsträger quittiert. Ebenso lautstark und heftig wird gemeinsam das Unser Vater gesprochen. Ist der Himmel taub, dass er ein meditativeres Beten nicht hören würde? Oder ist das Gebet des Herrn eigentlich gar kein Gebet, sondern ein gemeinsamer Schwur oder gar ein Schlachtruf für Glaubenskämpfer? Ähnlich lautstark ergeht der Zuspruch des Amtsträgers bei der Austeilung des Abendmahls. Wie aber könnte diese Heftigkeit der liturgischen Elemente im Gottesdienst die Tür zur gemeinsamen fröhlichen Gelassenheit aufschliessen, welche die Basis auch für gemeinsames Schmunzeln oder Lachen wäre? Die erwähnten, in der NAK-Zeitschrift vorliegenden Predigtbeispiele der höheren Amtsträger tragen das Ihre dazu bei, dass die Stimmung im NAK-Gottesdienst den Raum strenger Feierlichkeit kaum verlässt. Biblische Texte sind an vielen Stellen durchtränkt von entspannter Gelassenheit, von fröhlicher Menschlichkeit und nicht selten auch von Humor. Denn Glaube ist im biblischen Zeugnis mehr eine fröhliche Geborgenheit in Gott als ein sich selbst beschwörendes, lautstarkes Sich-Anklammern an Ideen und Organisationen. Die NAK-Predigten erreichen aber - so weit ich sehe - fast nie die Ebene einer Exegese, die diese Gelassenheit, diese Menschlichkeit und diesen Humor wahrnimmt und weitergibt. Die NAK-Predigt will wahrscheinlich auch gar nicht exegetisch arbeiten. Entscheidend ist viel eher die Verbindung des Amtsträgers im Moment seiner Ansprache mit dem göttlichen Geist und mit der Hierarchie seiner Kirche. Diese zwei NAK-Loyalitäten sind prioritär. Ein drittes Anliegen, das intensive Achten aufs biblische Wort, würde manches, was der Geist und das Amt nahe legen, zu oft relativieren und hie und da sogar korrigieren. Also empfiehlt die kirchliche Vorsicht, das intensive Achten aufs Wort als möglichen Störfaktor gar nicht erst zu pflegen. Anstelle dieser in manchen anderen Kirchen angestrebten Achtsamkeit tritt in der NAK die auch in der Predigtpraxis anderer Kirchen bekannte, aber hier besonders gepflegte kerygmatische Assoziationsspirale. Ein einzelnes Bibelwort, das dem Prediger vom Geist geführt am Sonntagmorgen auffiel, liefert dem Haupt-Prediger ein wegleitendes Stichwort, an das er dann eine ganze Reihe von persönlichen Assoziationen anfügt. Die von ihm aufgerufenen Amtsträger, die nach ihm ihren Dienst leisten, erweitern diese Einfallskette mit dem, was ihnen beim Anhören der Predigt oder beim Singen eines Liedes in den Sinn kam. Woher das erwähnte Bibelwort stammt, was es in seinem Kontext aussagt, bleibt im Allgemeinen unbefragt. Kurz - der Prediger predigt, was ihm einfällt - in seinem Verständnis: was ihm der Geist eingibt - und vor allem auch, was ihm beim Mithören der Predigt seines Amtsbruders zusätzlich noch in den Sinn kommt, die er sich soeben angehört hat. Diese Assoziationen zu Stichworten schlagen selbstverständlich nach Möglichkeit immer eine Brücke ins Leben und Erleben der Zuhörerschaft hinein. Aber weil die ganze Tiefe und Weite biblischer Texte oft nicht einmal angerührt wird, wirken auch diese gottesdienstlichen Wanderungen durch die Chancen und Probleme unseres Alltags reichlich schemenhaft. Auch für andere Kirchen gilt: Jede Verkündigung wird schal und jede Theologie versiegt zum mageren Rinnsaal sattsam bekannter eigener Gedanken, wenn die Achtsamkeit auf den biblischen Text nicht intensiv gepflegt wird. Es überrascht nicht, dass in der NAK-Verkündigung die biblische Botschaft nicht selten zum blossen Schatten ihrer selbst verblasst. Selbstverständlich gewinnt nur der kritische, theologisch interessierte Beobachter diesen Eindruck. Die aktiven NAK-Mitglieder empfinden und beurteilen ihre Gottesdienste sicher völlig anders als der kritische Aussenseiter, der die NAK-Gottesdienste mit Feiern anderer christlicher Gemeinschaften vergleicht. Es wäre seltsam, wenn dem nicht so wäre. Das heisst aber nicht, dass der kritische Beobachter sich seines Urteils enthalten muss, weil nur das ausgesprochen werden darf, was der Gläubige selbst empfindet.
Pathos ersetzt Einsicht
Wie aber lässt sich eine ausgedünnte christliche Botschaft noch überzeugend übermitteln? Manche NAK-Prediger suchen im allseits bekannten kerygmatischen Notstand - ich habe eigentlich fast nichts zu sagen und müsste eigentlich alles sagen - einen allseits bekannten Ausstieg. Wie die Prediger unzähliger anderer christlicher und nichtchristlicher Gemeinschaften, ersetzen sie mit Pathos, was ihnen an Einsicht fehlt. Das ist alles andere als orginell. Aber vorübergehend wirkt es. Das religiöse Pathos wischt fürs Erste alle Ansätze zum eigenen Nachdenken aus dem Geist des Zuhörers. Und solange niemand wirklich nachdenkt, wird die Dürftigkeit einer Botschaft nicht wahrgenommen. Aber lässt sich das eigene Nachdenken mit Pathos definitiv verabschieden? Wahrscheinlich nicht. Denkende Christen stellen Fragen, sobald die letzten pathetischen Töne verklungen sind.
Selbstverständlich ist die Neigung zum anmahnenden Pathos keine allgemein neuapostolische und keine exklusiv neuapostolische Erscheinung. Das Christentum wird überall dort fast automatisch pathetisch, wo es die ganze Weite der biblischen Botschaft ausdünnt und geistige Armut sich ankündet. Überdies ist das anmahnende Pathos nicht nur ein christliches, sondern ist ein allgemein religiöses Phänomen. Religion, die ihren Himmel kaum mehr kennt, sucht ihn mit Leidenschaft zu beschwören. Religiöse Gemeinschaften fliehen in Erfahrungsarmut und Einsichtmangel immer in pathetische Worte und Gesten. De neuapostolische Kirche gibt wegen ihres immer noch recht patriarchalischen Amtsbewusstseins und ihrer Sorge um ernsthafte Feierlichkeit dieser Neigung vielleicht nur etwas leichter und rascher nach als andere Gemeinschaften mit bewusst flachen „Hierarchien“ und mit bewusst gepflegter Achtsamkeit aufs befreiend menschliche biblische Wort.
Georg Schmid 2007
Letzte Aenderung 2007, © gs 2007, Infostelle 2000
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